2021/2022 - Der Sprung über den Atlantik

Oktober 2021 – Bald geht’s los

 

Noch 5 Tage bis zur Abreise. Die letzten Wochen verbrachten Britta und ich mit Vorbereitungen für den Sprung über den Atlantik und die 5 Monate in der Karibik. Der Zeitpunkt der Abreise rutscht immer näher, der Flug ist für den 17. Oktober geplant. Mannomann, was ne lange Liste: Zeitungsabos kündigen, Autos ab- und ummelden, Essen (vegan) bestellen, Marius, mein Mitsegler lebt vegan. Haben wir eigentlich ein Fieberthermometer an Bord? Der Einkauf der Reiseapotheke ist so groß, dass Britta neben der Apotheken-Umschau jede Menge Probiertütchen und Salben geschenkt werden. Sonnenschutz mit Lichtschutzfaktor 100, Antibiotika und 2 Familienpackungen Reisetabletten und Dutzenden weiterer Mittelchen. Selbst Besteck, um Wunden zu nähen, nehmen wir an Bord. Im Keller stapeln sich Berge von Sachen, die alle in 4 Koffer und 2 Reisetaschen müssen. Zigmal packen wir um und wiegen das Gepäck, bis es endlich passt.

 

Am 9. Oktober feiern wir unsere Farewell-Fete in einer Grillhütte. Ich führe den ganzen Abend tolle Gespräche mit Freunden, Kollegen und der Familie und nehme liebe Wünsche und Umarmungen entgegen. Wir sitzen bis in die Nacht um das Lagerfeuer. Nach meinem Vortrag überreichen mir meine 3 Töchter, die M's (Merle, Mara, Miri), eine Schachtel mit 27 Briefen. Für jeden Tag der Atlantiküberquerung einen. Ich versuche ja gerade mir ein Image als harter Hund zuzulegen, aber mir stehen die Tränen der Rührung in den Augen.

 

Im Job ist soweit alles geregelt. Mein Chef und mein liebes Team teilen meine Aufgaben untereinander auf. Mach dir keine Sorgen, wir schaffen das, geben sie mir mit auf den Weg. Danke an euch, dass ihr mir meinen Lebenstraum ermöglicht!

 

Ich muss an randale nordic denken. Ich habe sie zuletzt vor 4 Monaten auf Lanzarote gesehen. Herbert berichtete bei einem Besuch auf Lanzarote, dass sie aussieht wir eine Wanderdüne. Calima, die Ostwindlage aus Afrika, hat Mengen von Saharasand auf die Insel geweht. Komm endlich, wasch mein Deck, höre ich sie raunen.

 

 

Der Plan ist, dass ich am 17.Oktober mit Britta nach Lanzarote fliege. Wir verbringen dort noch zwei Wochen gemeinsam, bevor ich mit Marius den Sprung über den Atlantik mache. Britta fliegt zunächst zurück nach Deutschland. Wir treffen uns dann Anfang Dezember in der Karibik, wo wir dann unseren Karibiktörn gemeinsam erleben werden. Mein Rendevouz mit meiner Brittifrau auf Martinique wird mich über den Atlantik ziehen, den Passatwind verstärken, randale nordic wird fliegen.


  1. Oktober 2021  - Reise Reise

 

Beim Abschied von Oma muss ich das erste Mal Schlucken. Auf einmal ist der Augenblick des Abschieds da. Der Traum vieler Jahre wird war, aber damit auch der Abschied von meinen geliebten Menschen. Mit den M's waren wir Mittwoch noch einmal in unserem Lieblingsrestaurant, dem El Ernie. Bei spanischen Köstlichkeiten verbringen wir einen tollen Abend in der Familie, wie so viele davor. Die Leichtigkeit des Abends tröstet über den Abschied hinweg. Von Karla verabschieden wir uns mit einem Zoobesuch. Wie groß bist du wohl, wenn wir uns im April wiedersehen?

 

Ismael hilft mir, unsere 6 Koffer zum Auto zu bringen. Er gibt mir seinen kleinen Koran mit, der ihn auf seiner Flucht begleitet hat. Dann weiß ich, dass du wieder kommst, sagt er. Ich bin sehr gerührt. Das kleine abgegriffene Papier hat ihn auf seiner Flucht durch halb Asien und Europa begleitet, jetzt wird es mich über den Atlantik begleiten. Zusammen mit der kleinen Schutzengelfigur von Merle werde ich unverwundbar sein. Sidika und Ismael passen während unserer Abwesenheit auf das Haus und vor allem auf unsere Oma auf. Auch der Abschied von den beiden fällt mir sehr schwer.

 

Die letzte Nacht vor dem Abflug verbringen wir bei Karl und Andrea in Bad Schwalbach, die uns wie immer kulinarisch verwöhnen und uns nachts zum Flughafen bringen. Karl gibt mir seine elektronischen Rettungsgeräte mit, das Epirb und das SART. Damit können wir im Fall der Fälle Hilfe rufen, über Satellit.

 

Ryanair akzeptiert unsere Koffer, die bis zum letzten Gramm ausgenutzt sind. Das elektronische Equipment sorgt für Verwunderung. Was ist das, fragt die freundliche Kontrolleurin bei der Sicherheitskontrolle? Eine Seenotbake hat sie noch nie gesehen, aber es geht alles anstandslos mit an Bord.

 

Nach 4 Stunden Flug führt mich mein erster Weg auf Lanzarote zum Schiff. Von vorne bis hinten überzogen mit einer Sandschicht. Calima, die Ostwindlage, bringt immer wieder Saharasand auf die Insel, die marokkanische Küste ist nur 100 Kilometer entfernt. Guck nicht, schnapp dir einen Schlauch und spül mich ab, raunt sie mir zu. Mit der Hilfe von Franki befreien wir in 2 Stunden das Boot von dem feinpuderigen Sand. Wir packen die Persenninge ein, schlagen die Segel an und bunkern Wasser. Jetzt kann es los gehen, seufzt mein Greifswalder Mädchen zufrieden.

 

Wir verbringen mit Anette und Franki eine Woche gemeinsam auf der Insel, machen Urlaub. Wir zeigen ihnen unsere Lieblingsorte und Restaurants, schwimmen im Atlantik und hören Livemusik im Irelands Eye. Mit randale nordic segeln wir nach Puerto Calero, verbringen eine Nacht gemeinsam an Bord. Hey, ihr beiden, danke für die schöne Woche.

 

Die letzte Woche vor der Abreise verbringen wir mit intensiven Vorbereitungen. Marius, mein Mitsegler, kommt Sonntag an Bord. Wir schleppen Unmengen von Lebensmitteln aufs Schiff, jeder noch so kleine Hohlraum wird ausgenutzt. Im Salon spanne ich ein Netz für Gemüse und Obst. Wir füllen den Tank mit 250 Liter Frischwasser, kaufen aber noch zusätzlich 150 Liter Wasser in Kanistern. 3 Tage vor der Abreise wird das Schiff noch einmal aus dem Wasser gehoben und mit einem Hochdruckreiniger vom Bewuchs des letzten Jahres befreit. Die Seepocken und Muscheln kratzen wir mit einem Spachtel von Ruderschaft, Schiffsschraube und Antrieb. Als ich die Seeventile freisteche, ergießt sich der Inhalt des Schmutzwassertanks über meine Unterarme. Manchmal ist das schon ein Scheiß-Hobby.

Marius klärt mit seinen guten Spanischkenntnissen, das die Wartung unseres Außenborders vorgezogen wird. Ich hatte das mit dem „Manana“ zu wörtlich genommen und mich drauf verlassen, dass der Service pünktlich gemacht wird. Was man so denkt, mit seinem deutschen Organisationstalent.

Miri ist die ganze Zeit mit uns auf der Insel. Sie tröstet mich darüber hinweg, dass ich die beiden anderen M`s gerade nicht um mich habe. 2 Tage vor der Abreise nimmt sie sich unseren Medical-Koffer vor und strukturiert ihn neu. Endlich liegt das Antibiotika nicht mehr neben den Nadeln um Wunden zu nähen, alles findet seinen Platz. Eine sorgfältig erstellte Liste hilft, den Überblick zu bewahren. Thanx, liebe Miri.

 

Und was macht meine Brittifrau? Sie unterstützt mich wie immer, macht die letzten Einkäufe, aktiviert unseren Inreach, damit wir uns über Satellit SMS schreiben können, macht mir Mut. Und behält die Ruhe. Ich denke immer, ohne die Navigatorin meines Lebens wäre das alles nix geworden.

29. Oktober 2021 – Offshore

 

Den letzten Abend vor dem Auslaufen verbringen wir mit Herbert, Heiko und natürlich Marius, Miri und Britta in einer Tapasbar. Es fließt deutlich mehr Rotwein und spanischer Brandy als mir lieb ist. Naja, wir wollen ja erst Mittags starten.

 

Und dann ist es soweit. Wir verabschieden uns von den Vieren an der Tankstelle, wo wir das Boot noch einmal voll tanken. Wir schießen viele Fotos, trinken ein letztes (alkoholfreies) Bierchen und wünschen uns ein gutes Wiedersehen. Als wir die Leinen los werfen kullern mir Tränen über die Wangen. Ohgott, ich bin nicht dafür gemacht, ohne meine Familie und meine Brittifrau zu sein.

 

Vor der Hafeneinfahrt erwarten uns tolle Segelbedingungen. Raumschots gleitet das Boot mit 6 Knoten Fahrt Richtung Süden. Die Welle ist moderat. Wir segeln die Küste Lanzarotes hinunter, erreichen Fuerteventura und gehen auf Höhe Callado de Teno auf unseren endgültigen Kurs Richtung Kapverdische Inseln, 220 Grad, knapp 1000 Seemeilen.

 

Nach einem breitbeinig gekochtem Curry bereiten wir uns auf die erste Nacht vor. Der Wind ist sehr moderat, aber die Wellen lassen das Boot permanent schaukeln. Marius und ich schlafen schlecht zwischen unseren Wachen. Ich liege in meiner Koje und höre nach den Geräuschen von randale nordic, spüre ihre Bewegungen. Ich wache immer wieder auf. Meine Wache verbringe ich auf dem Cockpitboden liegend auf Kissen, bedeckt mit einer Decke, das Iphone weckt mich alle 20 Minuten. Ich schaue dann kurz in die Runde, kontrolliere am Plotter, ob AIS Signale in der Nähe sind und lege mich wieder hin. Zwischen 3 Uhr uns 7 Uhr hat Marius Wache, in den frühen Morgenstunden schlafe ich dann fest.

 

Der Sonnenaufgang entschädigt für die Nacht, glutrot steigt der Feuerball aus dem Meer. Die Wärme kehrt zurück, der erste Kaffee köchelt in der Pantry. Wir erleben einen wunderschönen Segeltag, von kleineren Pleiten, Pech und Pannen etwas überlagert. Marius fliegt der Abschiedsbrief seiner Freunde über Bord, wir treten bei einem Außenlautsprecher die Abdeckung kaputt und unser Code Zero zeigt einen Riss am Unterliek. Verdammt, bei den leichten Winden hätten wir ihn gut gebrauchen können.

 

Die Kommunikation mit unserem neuen InReach von Garmin klappt super. So kann ich mit der family per SMS Kontakt halten und werde von meinem Segelbuddy Karl mit Wetternachrichten versorgt. Und er hilft etwas gegen die Alleinsamkeit hier draußen auf See.

 

 

 

 

30. Oktober 2021 – 5. November 2021 - 7 Tage Segeln im Passatwind

 

Der Wind meint es gut mit uns, der Passat bläst kräftig und permanent. Er entsteht vor der Küste Portugals und weht gleichmäßig aus Nordost, passiert die Kanaren und erreicht entlang der afrikanischen Küste schließlich die Kapverdischen Inseln. Kolumbus ist schon diese Route gesegelt und auch wir folgen ihr. Auf Höhe der Kapverdischen Inseln dreht er dann Richtung West, direkt in die Karibik. Er hat eine Stärke zwischen 15 und 20 Knoten, manchmal mehr, manchmal weniger. Aber er wird nie zum Sturm. Die Hurricansaison endet im November, sie entstehen südlich der Kapverdischen Inseln und ziehen auch Richtung Westen.

 

Also haben wir den Wind permanent von hinten. Segler wissen, dass es nicht nur schön ist, vor dem Wind zu segeln. Das Boot schaukelt permanent von links nach rechts, es „giert“. Die Wellen erreichen eine Höhe von ca. 2 Metern, selten mehr als 3 Metern. Da wir die meiste Zeit mit dem elektrischen Autopilot segeln, hat der „eiserne Gustav“ ordentlich zu tun. Permanent gleicht er den Kurs aus. Die Temperaturen erreichen tagsüber 25 Grad. Wir sitzen häufig nur mit Badehose bekleidet im Cockpit. Während wir reden, essen oder einfach nur aufs Meer schauen scheint über uns steil die Sonne. Das strahlende Blau wird nur durch einzelne Wölkchen unterbrochen. Weiß sind sie und sehen aus, als hätte sie jemand aus dekorativen Gründen auf die Reise geschickt. Nicht weniger blau ist das Meer. Das Blau des Meeres ist noch strahlender, manchmal ins petrol gehend, manchmal azur, morgens aber auch mal antrazit. Wir können stundenlang auf das Meer schauen.

 

Die Sonne geht zurzeit gegen 8 Uhr auf, ab 7 beginnt es zu dämmern. Marius schläft dann meiste noch eine Runde, er hat die letzte „Nachtschicht“ vom 2.30 Uhr bis 6.30 Uhr. Ich frühstücke dann entweder schon alleine oder warte auch auf ihn. Müsli und Obst steht meist auf dem Plan. Dazu Kaffee. Die Körperpflege fällt sehr verschieden aus. Während Marius sich einen Eimer Seewasser über den Kopf schüttet, mit Seewassershampoo einseift und den Schaum wieder mit Seewasser abspült bevorzuge ich die sanfte Methode. Die Haare wasche ich mit ca. 2 Liter Frischwasser im Bad, fange es auf und wasche mich mit einem Waschlappen. Ja, ich weiß, Marius Methode ist wesentlich mutiger, männlicher, kerniger. Aber es erfährt ja keiner, dass ich die Methode Beautysalon anwende.

 

Le vent nous portera säuselt es aus den Bordlautsprechern. Der Wind wird uns tragen. Fürs Steuern sind die beiden Autopiloten zuständig, einer elektrisch, einer mechanisch. Aber ich schaffe es nicht, den Windpilot einzustellen (später taufen wir ihn Stefan Steuerbär). Ständig läuft das Boot aus dem Ruder. Die 2 bis 3 Meter hohen Wellen lassen das Heck von randale ausbrechen, wenn es von hinten angehoben wird. Der Windpilot scheint dann überfordert. Ok, also dann eben elektrisch. Aber bereits am zweiten Tag merke ich, das die Batterien die Grätsche machen. Das Solarpanel und der Windgenerator produzieren nicht genug Strom für den kleinen Stromfresser. Also muss der Diesel ran, der mit seiner Lichtmaschine genug Strom produziert, aber er läuft bis zu 3 Stunden am Tag. Haben wir da überhaupt genug Diesel an Bord für die Atlantküberquerung? „So, Janni Supersegler, soll das die Lösung sein?“ höre ich randale fragen. „Streng dich mal an. Denk dran, Schiffe wollen ihren Willen. Und Greifswalder Mädchen besonders“ höre ich sie ermahnen. Ok, ich trimme das Boot um, lasse den Wind etwas luvseitiger einfallen, sortiere die Leinen des Windpilot neu, stelle den Winkel der Windfahne neu ein. Am vierten Tag habe ich die Passatwellen endlich im Griff, das Schiff zieht endlich sicher seine Spur in den blauen Atlantik, gesteuert nur vom Wind. Le vent nous portera. „Ich wusste, du kannst es“ höre ich randale zufrieden raunen.

 

Nachts wechseln wir uns ab, haben einen Rhythmus von ca. 4 Stunden. Meine Wache beginnt um 22 bis 23 Uhr, meist versuche ich vorher etwas zu schlafen. Marius übernimmt nachts zwischen zwei Uhr und drei Uhr bis sechs Uhr. Aber er lässt mich gerne auch mal etwas länger liegen. So habe ich meist das Glück, den Sonnenaufgang zu erleben, diesen Moment wenn das Licht und die Wärme zurück kehren. Wundervoll.

Die Wachen verleben wir dösend und kurzschlafend, meist an Deck. Wir haben zwei riesige Outdoorkissen, mit denen wir uns auf den Cockpitboden legen. Neben uns liegt immer unser Handy, den Timer auf 20 Minuten gestellt. Dann heißt es kurz aufzustehen, einen Blick auf die Segel, den Kurs und die AIS-Signale zu werfen. Danach geht es wieder unter die flauschige Decke auf dem Cockpitboden. Nächtliche Manöver sind selten, kommen aber vor. Segelfläche muss vergrößert oder verkleinert werden, der Winkel der Segel muss angepasst werden. In der zweiten Nacht fährt das Schiff eine Patenthalse, es dreht durch eine Welle geschubst durch den Wind. Unser gesetzter Bullenstander verhindert, das der Großbaum mit voller Wucht auf die andere Seite schlägt, aber das Boot hängt quer in den Wellen. Ich rufe Marius an Deck. Wir haben eine sternenklare Nacht, aber es ist stockdunkel, wir haben fast Neumond. Mit Hilfe unserer Stirnlampen sortieren wir das Chaos an Deck, lösen den Bullenstander, den wir klugerweise ins Cockpit gelegt haben. So müssen wir nicht auf Vordeck, sondern können alles aus der sicheren Plicht heraus regeln. Mit Maschinenhilfe drehen wir randale nordic wieder auf Kurs, trimmen die Segel neu ein. An ein Weiterschlafen ist nach solchen Aktionen erst mal nicht zu denken. Aber wir sind froh, auch solche Herausforderungen in Ruhe regeln zu können.

 

Am 6. Tag hat uns die Bordroutine vereinnahmt. Im Klartext: Es ist viel Gammeln angesagt. Das Boot zieht von alleine seine Bahnen. Der Passat bläst sehr konstant aus Nordost, kleine Winddreher meistert das Boot alleine. Das einzige, was es zu tun gibt, ist die Fock mit ein paar Kurbeldrehungen der Winch etwas zu vergrößern oder zu verkleinern. Es stehen immer wieder kleine Erledigungen an. Ich klebe die Sohle meiner nagelneuen Bootsschuhe fest, fixiere den ewig umfallenden Wasserkanister neu, zupfe etwas an den Segeln. Wir kochen jeden Tag. Auf Backbord haben wir im Salon ein Netz mit Gemüse hängen, es leert sich jeden Tag mehr. Unser Essen ist einfach, aber gesund und lecker. Wir haben seit unserer Abreise keinen einzigen Schluck Alkohol getrunken, essen vegan und sündigen auch sonst nicht. Mein Gott, bald können wir bestimmt über das Wasser gehen.

 

Am Nachmittag kommt eine Delfinschule zu uns, erst einzelne, große Tiere. Später kommt die gesamte Familie, auch „Halbstarke“ sind dabei. Die jungen Tiere üben sich im aus dem Wasser springen, machen dabei Drehungen und klatschen mehr oder weniger geschickt auf das Wasser. Dann verlässt ein Schwarm fliegender Fische das Wasser, bestimmt 50 Tiere. Sie fliegen immer gegen den Wind, bis zu 100 Meter weit. Vermutlich haben sie das Wasser verlassen, um den Delfinen zu entgehen. Nutzt nur bedingt was, denn oberhalb der Wasseroberfläche warten Seevögel auf Beute. Die geschickten Flieger begleiten gerne Delfinschulen, knapp über den Wellen fliegend versuchen sie einen Happen zu erwischen. Was für ein Naturspektakel!

 

Mit fliegenden Fischen habe ich die Nacht davor Erfahrungen gemacht. Während meiner Wache liege ich auf den Kissen auf dem Cockpitboden, in eine Decke gehüllt. Ich dämmere vor mich hin als mich etwas im Gesicht berührt. Ich springe auf und erkenne einen Fisch, der sich zappelnd über den Teakboden bewegt. Schnell registriere ich den intensiven Fischgestank und rette meine Decke und die Kissen. Ich stürze unter Deck und hole etwas Toilettenpapier, aber bis ich wieder im Cockpit bin ist der Fisch leider schon verendet. Was für eine Sauerei, alles ist voll mit Schuppen und stinkendem Schleim. Ich beschließe, das Massaker erst im Hellen zu beseitigen.

 

Als Marius seine Wache übernimmt, bitte ich ihn, nicht auf dem Boden zu liegen. Macht er auch nicht, er quetscht sich auf die Cockpitbank an Steuerbord. Eine besonders hohe Welle wird ihm zum Verhängnis, das rollende Schiff wirft ihn bei einer besonders hohen Welle auf den Boden. Da auch er im Halbschlaf ist, fängt er sich kaum ab. Die Folge ist ein geprellter Knöchel und ein Schürfung am Oberarm. Die Schwellung am Knöchel sieht zunächst nicht gut aus, erreicht Walnussgröße. Wir schmeißen den Kühlschrank und stellen ihn auf maximale Leistung, ca. 20 Minuten später ist das Kühlpad kalt genug. Marius kühlt über Stunden die Schwellung immer wieder. Am Abend hat sie dann deutlich abgenommen. Uff, nochmal Glück gehabt.

 

Nach 7 Tagen erreichen wir Mindelo auf der kapverdischen Insel Ilha de Sao Vincente. Wir müssen leider früh am Tag schon die Hoffnung aufgeben im Hellen anzukommen. Die letzten Meilen ziehen sich und wir geraten noch in ekelige Kreuzsee, die uns ziemlich durchschütteln. Und meine Stirnlampe fliegt über Bord, als mich die Großschot streift.

 

Kurz vor der Hafeneinfahrt melden wir uns über Kanal 72 an, als wir in den Hafen einfahren werden wir bereits erwartet, ein Marinero bringt uns auf unseren Platz. 21 Uhr, Schiff fest in Mindelo! Selten hat ein Anlegebier besser geschmeckt, und auch randale nordic zeigt sich zufrieden. „Das war anstrendend, aber klasse“ raunt sie mir zu und ich pflichte ihr bei.

 

 

 

6. November bis 11. November 2021– Kreolische Inseln

 

Um 9 Uhr gehen wir zur Marinaverwaltung. Wir bekommen Infos, unsere Karte zum Duschen und es werden viele Kopien gemacht. Wir fragen nach einem Segelmacher, unser Code Zero ist im Unterliek aufgegangen und bei unserer Sprayhood lösen sich Nähte welche die Plastikscheibe halten. Die freundlich Frau greift zum Telefon und eine Minute später steht ein freundlicher Kapverde nehmen uns und stellt sich als Marinachef und Segelmacher vor. Wir sollen beides um eins vorbeibringen, er macht das für uns. Wir bauen beides vom Boot ab und die Übergabe klappt tatsächlich pünktlich.

Dann setzen wir uns erstmal in die „Floating Bar“. Am Beginn der Stege liegt eine riesige schwimmende Plattform, auf der eine Bar mit Gastronomie und freiem Wlan ist. Sie wird schnell zu unserem Wohnzimmer, das einfache Essen ist lecker, die Drinks und der Kaffee sind günstig und es ab früh morgens immer etwas los. Über 90 Prozent der kapverdischen Bevölkerung ist schwarz, und so sitzt dort zusammen mit den Yachtcrews ein gemischtes Völkchen zusammen.

 

Am Steg liegen ca 50 Yachten, von denen sich viele wie wir auf den Sprung über den großen Teich vorbereiten. Wir knüpfen erste Kontakte, halten Smalltalk und bekommen tolle Informationen. Und wir treffen eine erste Verabredung auf Martinique, Udo und Kerstin wollen auch dorthin und Weihnachten mit ihrer Familie dort verbringen.

 

Nachmittags schauen wir uns Mindelo an. Man sieht der Stadt die portugiesischen Wurzeln an, die Architektur hat aber auch kreolischen Einschlag, viele Häuserfronten sind bunt gestaltet. Wir schauen uns den Fischmarkt an, die Fische werden und großer Auswahl angeboten, Überall in der Stadt finden wir kleine Marktstände, auf dem Boden sitzend werden Fisch, Früchte und Gemüse angeboten. Verlässt man die lebhafte Altstadt spürt man aber auch schnell die Armut der 14 Inseln. Unverputzte Häuser, die aussehen, als wären sie noch in Bau, viele streunende Straßenhund und sehr kaputte Autos prägen das Straßenbild.

 

 

Abends gehen wir in die Altstadt, finden das Cafe Mindelo, ein Restaurant mit Live Musik. Und dort nimmt das Drama seinen Lauf. Ich hatte bereits an Bord 2 Gläser Rotwein. Die Flasche kapverdischer Wein zum Thunfisch, Oktopussalat und Gemüse läuft schnell durch. Als die Musik im Innenraum beginnt wechseln wir an einen Tisch drinnen. Und noch ein Gläschen Rotwein. I am a creep, i am a weirdo von Radiohead singen wir bereits laut mit. Am Nachbartisch feiert eine dreiköpfige Familie den Geburtstag des Vaters. Marius bestellt 5 einheimische Schnäpse. Aber als der Alkohol kommt, hat die eben so hübsche wie zickige Tochter dafür gesorgt, dass das Restaurant verlassen wird. So kommt es nicht zu einer interkontinentalen Völkerverständigung und wir sitzen mit 5 Shots da. Und rein damit. Als ich später wieder auf das Boot klettere, macht sich Marius Sorgen, ob das überhaupt noch klappt. Einmal tief durchgeatmet und ich stehe an Deck. Im Cockpit sitzend bitten wir dann um kirchlichen Beistand. Der spanische Brandy Cardinal Mendoza gehört auf randale nordic zur Bordbar. Bis in die Nacht diskutieren wir noch über den richtigen Umgang mit Corona. Als ich endlich in meiner Koje liege, ist es bis Sonnenaufgang nur noch eine Wache.

 

Bereits 1 Tag später bekommen wir unsere Sprayhood und den Code Zero wieder, der Preis ist sehr fair. Nachmittags treffen wir uns noch mit Valeria. Wir hatten von der Mannschaft der Hanse Uplace ihre Kontaktdaten bekommen. Dienstag wollen wir mit ihr die nördlich gelegene Insel Santo Antao besuchen. Santo Antao ist bekannt für seine Berglandschaften, wir freuen uns sehr auf den Ausflug in den Djungel.

 

Wir haben den Wecker auf 5.30 Uhr gestellt, bereits um 6.30 Uhr haben wir uns am Fähranleger mit Valeria verabredet. Wir löffeln unser Müsli noch im Dunkeln, sind pünktlich am Fähranleger. Die Fähre benötigt eine knappe Stunde bis Porto Novo, wo Valeria ein Auto mit Fahrer für uns organisiert hat. Nach einem Pingado (die portugisisch/kapverdische Version des Curtado) geht es mit dem Toyota Hilux in die Berge. Einen Geländewagen wie den Pickup kann man hier gut gebrauchen. Es gibt ausschließlich kopfsteingepflasterte Straßen. Santo Antao ist sehr bergig, die höchsten Gipfel erreichen 2000 Meter Höhe. Durch die Höhe bleiben die Passatwolken hängen und regnen ab, wodurch die Nordseite sehr grün bewachsen ist. Unser Fahrer lässt uns am Ende eines Tales aussteigen, es geht zu Fuß weiter. Wir erklimmen 800 Höhenmeter. Während Marius Fußballerbeine das leicht wegstecken bin ich zwischendurch immer wieder dankbar für meine Entscheidung, Segler, und nicht Bergsteiger geworden zu sein. Der erwartete Muskelkater stellt sich am nächsten Tag tatsächlich ein.

Der Aufstieg ist wirklich faszinierend. Das angebaute Gemüse und Obst ändert sich mit jedem Meter. Valeria erklärt uns viel über das angebaute Gemüse und Obst. Orangen, Bananen und Mangos stehen rechts und links der Pfades, der immer höher führt. Aber auch Yam-Wurzeln, Manjok und überall Zuckerrohr gedeihen hier prächtig.

Als wir den Pass erreichen, genießen wir einen grandiosen Blick in das Tal. Damit auch die Vorderseite der Oberschenkel ihren Beitrag leisten, gehen wir anderthalb Stunden steil bergab. Der Pfad beginnt schmal, wird aber Richtung Tal immer breiter. Als wir das Dorf im Tal erreichen, kaufen wir von einheimischen Frauen im Tal angebauten Kaffee und in Zuckermasse karamellisierten Köstlichkeiten. Als ich den Hilux sehe vergesse ich alle Markenloyalität zu meinem Arbeitgeber, nie war ich glücklicher, in einen Toyota zu steigen.

Auf dem Weg zum Mittagessen halten wir noch an einer Grogue-Brennerei. Der Schnaps wird aus Zuckerrohr gemacht. Wir probieren Gläschen für Gläschen, und siehe da: So auf nüchternen Magen schmeckt er immer besser und besser. Marius wagt sich auch an die gesüßten Versionen mit Kaffee und Mangogeschmack. Zwei Fläschchen wandern in unseren Rucksack.

Als wir zum Mittagessen kommen geht es mit einem Gesöff aus Grogue und Zitronensaft weiter. Marius ist sich nicht ganz sicher über die Qualität und schenkt sich mehrmals nach, um ein sicheres Urteil zu haben. Wir bekommen einheimisches Essen, Makrele, Hähnchen, aber auch Gemüse, dass wir gerade im Tal kennengelernt haben. Köstlich! Wir lernen auch unseren Fahrer näher kennen. Marius und er tauschen sich über die verschiedenen Tanzstile zwischen Kreolen und Deutschen aus. Fazit: Deutschen Männern fehlt ein zusätzliches Kugelgelenk im Bereich des unteren Lendenwirbels.

Auf dem Rückweg mit der Fähre schlafe ich kurz ein. Marius und ich sind sehr zufrieden mit unserem Ausflug. Am Anleger verabschieden wir uns von Valeria, unserem klugen, kreolischen Sprachgenie, und bedanken uns sehr, nicht ohne dass Marius sich für den nächsten Abend in einem Club verabredet.

Den Abend verbringen wir wieder in unserem Wohnzimmer, der Floating Bar. Als am Nebentisch eine Gruppe junger Menschen Platz nimmt, trauen wir zunächst unseren Augen nicht. Die zickige Schönheit aus dem Cafe Mindelo ist mit in der Gruppe. Als Marius Kontakt zu der Gruppe aufnimmt und sich mit an deren Tisch setzt, gehe ich zurück an Bord. Marius berichtet am nächsten Tag, dass sie gar nicht zickig ist, Miriam heißt und sehr nett ist. Ich frage nicht nach, was an dem Abend noch alles passiert ist, aber er hat seit heute Morgen ein breites Grinsen im Gesicht...

 

 

Einen Tag vor der Abreise machen wir unsere letzten Erledigungen für die nächste Etappe, den Sprung über den Atlantik. Wir kaufen frisches Obst und Gemüse, Marius bekommt endlich seine Memory-Card und ich eine neue Stirnlampe. Wir machen das Schiff klar zum Auslaufen, waschen das Deck, füllen den Wassertank. Ready for rumble! Die Wetterprognosen sind gut, der Passat weht kräftig und gleichmäßig. Wenn wir unseren bisherigen Geschwindigkeitsschnitt halten, benötigen wir 16 Tage auf See. Wünscht uns Fair Winds and following Waves, wie die Briten sagen

11.November – 1.Dezember 2021 – Transocean

 

Voyage voyage! Wir verlassen Mindelo am Donnerstag, den 11. November gegen 11 Uhr. Karnevalsbeginn. Valeria hatte berichtete, dass der Karneval auf den Kapverden sehr ausgelassen gefeiert wird, der zweitbeste nach dem brasilianischen, betonte sie. Aber wir wollen weiter, die nächsten 2080 Seemeilen in Angriff nehmen. Marius fährt seine erstes Ablegemanöver mit randale, kurz darauf das erste Anlegemanöver an der Tankstelle. Klappt prima! Wir warten ewig auf den Marinero der Tankstation.

 

Ich stelle fest, dass wir auf der ersten Teiletappe mehr als die Hälfte unseres Treibstoffs verbraucht hatten, in erster Linie zur Stromgewinnung für den Kühlschrank und den elektronischen Autopilot. Den Kühlschrank hatten wir darauf hin schon auf der Strecke zu den Kapverden außer Betrieb genommen. Ich beschließe, unseren Autopiloten auch so wenig wie möglich zu benutzen und dafür mehr Stefan Steuerbär zu fordern, unsere unermüdliche Windfahnensteuerung. Dann müsste eigentlich das Solarpaneel ausreichen, um Strom für die Navigationsinstrumente und Licht zu produzieren. Auch unserem Windgenerator hatte ich schon vom Netz genommen. Das Boot hatte überall Roststreifen, als wir in Mindelo ankamen. Ich vermute, der Generator produziert Kriechströme, die an den Edelstahlteilen elektrische Korrosion ausgelöst haben. Mal schauen...

 

Wir steuern das Boot gegen 11 Uhr aus dem Hafen und können schon nach kurzer Zeit direkten Kurs auf Martinique nehmen, Generalkurs 265 Grad. Mit uns läuft ein riesiger Katamaran aus, der aber schneller läuft als wir. Bereits am Abend haben wir aus den Augen verloren. Die erste Nacht wird sehr anstrengend für uns, obwohl das Wetter und der Wind gut sind, kommen wir nur schwer zu Ruhe. Vermutlich müssen wir auch erst mal unsere wilden 5 Tage in Mindelo verarbeiten und den Restalkohol vom Grogue abbauen. War aber auch lecker, das Zeug!

 

Aber bereits am nächsten Tag sind wir wieder in unserer Bordroutine. Der Tag beginnt für mich meist um 6 Uhr. Marius beendet dann seine Nachtwache, legt sich meist nochmal hin. Ich starte immer langsam in den Tag, sitze im Cockpit, schaue auf die Wellen. Dann steht das Bad an. Eine Handvoll Wasser ins Gesicht geklatscht, Zähne geputzt, fertig. Auf See stinkt man nicht, lautet eine alte Weisheit. Kann ich bestätigen (zumindest ab Windstärke 5).

 

Kaffee kochen, Müsli machen. Häufig ist Marius dann auch schon wieder wach und wir frühstücken gemeinsam. Wir genießen immer beide den Morgen nach den langen Nächten. Nach dem Frühstück lesen wir gemeinsam einen der 27 Briefe, die Merle, Mara und Miri mir mitgegeben haben. Wo bin ich in 20 Jahren, was ich von meinen Eltern gelernt habe, was waren unsere schönsten Urlaube. Die Briefe haben jeden Tag ein anderes Motto. Ich bin jeden Morgen wieder tief berührt von den gefühl und -humorvollen Botschaften.

 

Danach stehen häufig kleine Erledigungen an. Ich ziehe eine Schraube am Windpilot nach, checke die Navigation oder sortiere etwas. Am Dienstag, denn 16.11 ist groß Reinemachen angesagt. Wir schließen alle Luken und Fenster, kippen eimerweise Wasser ins Cockpit und auf die Seitendecks, schrubben und polieren. Als wir danach triefen, ziehen wir uns nackt aus und kippen einige Eimer Wasser über uns. Auch ich überwinde mich, aber der Atlantik hat hier auch 27 Grad. Mein Diplom als harter Hund bekomme ich dafür nicht, aber Marius bescheinigt mir: Männlich! Wir haben Seewassershampoo an Bord und wir fühlen uns danach herrlich frisch. Da im Umkreis von 1000 Kilometern keine andere Seele ist, lassen wir uns von der frischen Seeluft trocknen, den nackten Hintern auf den Teakbänken.

 

Sicherheit hat eine sehr hohe Priorität für uns an Bord. Eine Hand für das Schiff, eine Hand für den Mann. Wir haben feste Grundsätze vereinbart. So geht niemand auf das Vorschiff, wenn der zweite nicht im Cockpit ist und aufpasst. Und niemand verlässt das Cockpit ohne Schwimmweste. Trotzdem verletzt sich Marius am Fuß, als er auf dem Vorschiff eine Leine umlegt. Kein Manöver ohne Schuhe ist unser Credo dazu, aber es musste schnell gehen. Die Verletzung ist nur oberflächlich, ein Pflaster und ein leichter Verband helfen schnell, am Abend ist der kleine Unfall vergessen.

 

Um die Mittagszeit herum bestimmen wir immer unser Etmal, also die Strecke, die wir in 24 Stunden gesegelt sind. Im Schnitt erreichen wir zwischen 100 und 140 Seemeilen. Wir sind immer sehr gespannt, was wir geschafft haben. Bei einem Schnitt von 5 Knoten erreichen wir 120 Meilen am Tag, unsere Latte, mit der wir Martinique in 17 Tagen erreichen würden. Klappt leider nicht immer, teilweise ist der Wind einfach zu schwach. Aber im Schnitt passt es.

 

Wir kochen jeden Tag. Wir haben auf den Kapverden noch einmal unsere frischen Vorräte aufgefüllt. Aus dem Gemüse bereiten wir jeden Tag etwas zu. Meist „Eintöpfe“, die wir in unserem riesigen Topf auf dem kardanisch aufgehängten Herd brutzeln. Die Beine immer weit gespreizt, irgendwo angelehnt und immer auf der Hut, dass einem das rockende Schiff das Menü nicht vor die Füße wirft.

 

Am 16. November feiern wir unser Bergfest. Wir haben seit Lanzarote rund 1500 Seemeilen gesegelt, 1500 liegen noch vor uns. Marius verschwindet in der Pantry, und nach anderthalb Stunden serviert er frittierte Yam-Wurzeln, Manjok, Bananen. Dazu gibt es Dips aus Lanzarote. Besonders die wie Chips zubereiteten Kochbananen haben es mir angetan. Einfach nur saulecker.

 

Die Nachmittage verbringen wir meist lesend. Das Schiff zieht seine Bahnen durch den Atlantik, nur selten müssen wir eingreifen. Wir bestätigen uns beide, dass wir seit Jahren nicht soviel gelesen haben. Mein erstes Buch ist so großartig wie düster. „Ein wenig Leben“ heißt es. Es geht um die Freundschaft von vier Männern, behandelt aber Themen wie sexuellen Missbrauch, Gewalt. Auf der hohen See, so alleine, passt das Buch nicht immer gut zu meiner Stimmung. Das nächste Buch „Mord auf Martinique“ ist da deutlich leichter verdaulich.

 

Täglich bekommen wir von unserem Wetterfröschli einen Wetterbericht. Karl, mein alter Segelbuddy ist für mich das dritte Crewmitglied. Manchmal bedaure ich sehr,dass er nicht an Bord ist und wir zusammen „Durschenanner“ machen können. Aber er versorgt uns zweimal am Tag mit Wetterdaten und gibt Empfehlungen, welchen Kurs wir einschlagen sollen. Es ist morgens immer mein erster Blick, was uns Karl per SMS über unseren InReach geschickt hat. Er verfolgt unseren Track genau und gleicht ihn mit den Wetterprognosen von Windy ab. Am 17. November erhalten wir von ihm die Empfehlung:“Geht weiter in den Süden, ihr müsst auf den 14. Breitengrad“. Vor uns liegt ein riesiges Flautengebiet und wir sollen versuchen das Desaster im Süden zu zu umsegeln. Wir reagieren sofort, drehen das Schiff auf Kurs 225 und trimmen das Schiff neu ein. Wir haben zunächst noch guten Wind und wir überbrücken die zweieinhalb Breitengrade (ca. 150 Seemeilen) in 30 Stunden. Etwas unterhalb des 14 Breitengrades drehen wir wieder auf Kurs 270 Grad, direkten Kurs auf Martinique. Der Wind pendelt um 10 Knoten, die Untergrenze zum vernünftigen Segeln. Wir versuchen je nach Wind und Welle verschiedene Strategien, segeln ausgebaumt direkt vor dem Wind, laufen raumschots unter Code Zero und motoren auch mal ein paar Stunden. Zwischenzeitlich kommen immer wieder Empfehlungen, noch südlicher zu gehen. Diese Zeilen schreibe ich am Sonntag, den 21. November und wir segeln zwischenzeitlich zwischen dem 12. und 13. Breitengrad, also die Breite von Barbados. Wir erreichen selten einen Speed über 5 Knoten, aber auch selten unter 4 Knoten. Die berechneten 17 Segeltage sind damit nicht mehr haltbar. Ich bin zeitweise sehr gefrustet, wenn wir nur noch mit der Geschwindigkeit einer treibenden Qualle unterwegs sind. Marius hingegen scheint auf den langen Passagen seinen Frieden gefunden zu haben, nimmt die Situation sehr gelassen. Er genießt jeden Sonnen und Mondaufgang, die blaue See, die Wärme. Während ich mich auch nachmittags gerne mal in das Schiff zurückziehe und lese, geht Marius nur zum Schlafen in seine Koje, ist permanent an Deck und macht mich immer wieder auf die Schönheit um uns herum aufmerksam.

 

Eines mittags haben wir besonders wenig Wind. Wir bergen alle Segel und lassen uns treiben. Marius hatte vor Beginn der Reise zwei Wünsche geäußert: Er möchte mitten auf dem Atlantik schwimmen gehen und er möchte einen Fisch fangen. Der erste Teil wird nun wahr. Marius springt mit einem Salto rückwärts in das blaue Meer. Wir schleppen eine 30 Meter lange Leine hinter uns her, am Ende ist unser Rettungskragen befestigt. Er macht mit seiner neuen GoPro einige Aufnahmen, unter und über Wasser. In jeder Richtung ist das Land ca. 1000 Seemeilen entfernt, die Wassertiefe beträgt an dieser Stelle ca. 5000 Meter. Nach einigen Minuten muss er das Wasser schnell verlassen. An seinem rechten Oberarm und am Bein klebt etwas blaues. Noch im Wasser befreit er sich davon, klettert über die Badeleiter zurück an Bord. Die Stellen brennen und es bildet sich sehr schnell ein pickeliger Ausschlag. Marius spült die Stellen mit Frischwasser, und bereits einige Minuten später geht die Rötung zurück. Vermutlich hat er die Nesselfäden einer Qualle erwischt. Uff, nichts Ernstes!

 

Seit einem Tag ziehen wir die Schleppangel hinter uns her. Unser Gemüse ist nach anderthalb Wochen aufgebraucht, und wir hatten besprochen, erst dann zu fischen. Ob wir das so richtig machen? Wir schleppen unseren chinesischen Köder mit einem Abstand von ca. 30 Metern hinter uns her. Er springt an der Oberfläche, wir sehen ihn immer wieder auftauchen. Hätte da noch ein Gewicht dran gemusst? Na, schauen wir mal, ob die Jäger den knall bunten Tintenfisch appetitanregend finden.

 

Wir leben jetzt überwiegend von haltbarer Nahrung, außer einigen Äpfeln und Bananen haben wir keine frische Nahrung mehr. Chili con Soja, Hummus mit selbst gebackenen Brot, Schokokuchen aus dem kleinen Omnia-Backofen. Das Essen ist trotzdem sehr abwechslungsreich und wir haben Vorräte für viele Wochen an Bord. Ich habe sogar drei Einkochgläser mit Gulasch dabei, falls ich mal einen „Rückfall“ vom weitgehend veganen Leben habe. Auch die Wasservorräte sind gut bemessen. Von unseren 250 Litern im Wassertank haben wir noch nicht viel verbraucht. Wir verwenden es zum Kochen und für die Hygiene, zum Zähneputzen. Zum Waschen und Duschen verwenden wir nur Seewasser mit dem entsprechenden Shampoo. Klappt super.

 

Ohgott, was machen wir hier draußen? Am Dienstag, 23. November sind wir beim siebenten Schwachwindtag. Die Prognosen, dass sich zum letzten Wochenende Wind einstellt, haben sich nicht bewahrheitet. Der Windmesser zeigt nur selten Wind über 10 Knoten. Unsere Geschwindigkeit hat sich zwischen 3 und 4 Knoten eingependelt. Ich rechne immer wieder, wie lange wir noch brauchen. Ist die Ankunft rechtzeitig um Britta am Flughafen von Fort-de-France zu Empfangen? Bei einer Geschwindigkeit von 3 Knoten bräuchten wir noch 12 Tage. Das wäre 2 Tage zu spät.

Wir checken unsere Wasservorräte. Noch 20 Kanister a 5 Liter haben wir. Bei der Hitze verbrauchen wir zurzeit etwa anderthalb Kanister am Tag. Müsste reichen, im Tank haben wir nochmal ca. 150 Liter. Essen haben wir für viele Wochen an Bord, das dürfte kein Problem werden.

Mein Nervenkostüm hängt teilweise ziemlich in den Seilen. Jeden Tag die Hoffnung, etwas mehr Wind zu bekommen, aber dann doch nicht. Karl schreibt, dass sich das Flautengebiet zeitweise von der Karibik bis nach Afrika erstreckt. Tolle Wurst. Mir tut es in diesen Momenten gut, mit der Familie SMS zu schreiben. Wir hatten das kleine Kommunikationswunder InReach ursprünlich dazu genutzt, um „hier-ist-alles-ok-Meldungen“ abzusetzten. Jetzt tröstet es mich über die lange Durststrecke hinweg. Play harder, Jani Supersegler, denke ich mir in diesen Phasen oft. Ich habe es so gewollt. Und Machen ist eben wie Wollen. Nur krasser!

 

Das Boot hält sehr gut durch. Meine kleine Dreadnought setzt jeden Windhauch in Geschwindigkeit um, auch wenn diese nicht berauschend sind. Wir haben keine Schäden an Bord, alle Systeme laufen einwandfrei. Unsere produzierte Strommenge reicht fast aus. Wir haben sehr diszipliniert meist nur die Navigationsinstrumente und nachts die Positionslichter laufen. Zusätzlich laden wir unsere Handys, Ebook Reader und das Inreach über das Bordnetz. In den schwachwindigen Zeiten motoren wir zeitweise mal zwei Stunden, das füllt die Lücke an Strom, die wir über das Solarpaneel nicht laden, insbesondere an bewölkteren Tagen.

 

Unsere Abende beginnen meist früh, bereits um 18.30 Uhr sind wir mitten in der Dämmerung. Meist essen wir noch im Hellen. Haben wir mittags gekocht, gibt es abends (selbst gebackenes) Brot. Oder wir brutzeln noch etwas. Danach bereiten wir das Schiff für die Nacht vor. Positionslichter an, Solarpaneel abstöpseln, aufräumen. Für mich beginnt die Nacht dann um 20 Uhr, ab da versuche ich bis zu meiner ersten Wache um 22 Uhr schon etwas zu schlafen. Gelingt meistens, manchmal aber auch nicht und ich liege wach in meiner Koje. Ist aber auch nicht so schlimm, auch während unserer Wachen können wir ja meist im Halbstunden-Rhythmus schlafen. In Summe kommen wir damit gut hin.

 

In der Nacht vom 27. November auf den 28. November kommt der Passatwind zurück. Ich spüre es sofort, als das Schiff abends anfängt, Geschwindigkeit aufzunehmen. Fünf, fünfeinhalb, 6 Knoten zeigt die Logge. Durch mich geht ein befreites Aufatmen. Und was sagt randale dazu? „Großartig“ murmelt sie. „Aber ich finde die ganze Reise fantastisch“ betont sie. „Endlich darf ich Laufen, Laufen, Laufen“. Zur Bestätigung legt sie noch etwas an Geschwindigkeit zu. Der Wind kommt gerade rechtzeitig. Am Nachmittag hatte sich an unserem Code Zero wieder ein kleiner Riss gezeigt. Durch die permanente Dünung und die Wellen auch bei wenig Wind schlagen die Segel immer mal wieder hin und her, wenn der Wind zu schwach ist. Die leichte Membran des Code Zero macht das leider nicht lange mit, entgegen der robusten Hauptbesegelung aus Dacron. Ich hoffe, der Wind hält die letzten 500 Seemeilen durch und wir brauchen unser Leichtwindsegel nicht mehr.

 

Hin und wieder aktiviere ich mein Satellitentelefon von Inmarsat. Es dauert immer einige Minuten bis das Isatphone die Satelliten gefunden und sich in das Netz eingewählt hat. Die vertraute Stimme meiner Brittifrau hinterlässt immer ein wohliges Gefühl. So weit draußen im Nirgendwo verschwimmt manchmal die Vorstellung vom normalen Leben, die endlose Wasserfläche suggeriert nach den Wochen auf See, dass es nichts anderes mehr gibt. Aber die Gespräche machen das Landleben wieder greifbar. Heute telefoniere ich mit Merle. Sie hat ihre OP gut hinter sich gebracht und durfte heute wieder nach Hause. Gute Besserung, liebe Merli. Mit Miri schreibe ich auch gerne per SMS. „Miri, auf welchem Längengrad müssen wir die Zeit wieder umstellen, wie sieht es gerade mit Corona auf Martinique aus?“. Miri ist unser „Bord-Google“, unser kleines Fenster zur Welt. Danke Miri-Maus, mir helfen die Infos sehr.

 

 

Am Sonntag, 28. November, beschließen wir abends den Motor zu starten und noch etwas Strom für die Nacht zu produzieren. Der Tag war recht bewölkt, und so hat das Solarpaneel wenig in die Batterien laden können. Nach dem Starten fällt mir der unruhige Lauf des Motors auf, er vibriert . Vielleicht hängt was in der Schraube? Ich lasse den Rückwärtsgang für ein paar Sekunden drehen. Besser. Aber nach einigen Minuten rieche ich etwas Verbranntes. Ich stürze unter Deck und sehe schon Qualm aus dem Motorraum quellen. Wir stellen sofort den Motor ab. Ich öffne den Motorraum nur sehr kurz einen Spalt, um ein eventuelles Feuer nicht zu entfachen und warte einige Minuten. Uff, es entsteht kein Schwelbrand, ich hatte den Feuerlöscher schon in der Hand. Nach einer Stunde öffnen wir die Klappe zum Motorraum und lüften ordentlich durch, es riecht gewaltig, auch einen Tag später noch. Der Versuch, den Motor erneut zu starten, misslingt. Der Anlasser dreht nicht durch. Ich begebe mich auf Fehlersuche, letztendlich erfolglos. Ich kann den Motor mit einem Schraubenschlüssel drehen, er ist nicht fest. Auch kann ich keine angekohlten Kabel finden. Nach einem Blick mit der GoPro unter Wasser sehen wir, dass unser Saildrive mit Sargossa Gras umwickelt ist, also haben wir vermutlich kein Kühlwasser mehr angesaugt und der Motor ist heiß geworden.Ok, wir werden ohne Motor nach Martinique segeln müssen. Grundsätzlich ist das kein Problem, wir schalten alle Stromverbraucher aus außer unserer Positionsleuchte im Mast. Dafür produzieren wir genug Elektrizität.

 

Die letzten beiden Tage und Nächte brist der Wind ordentlich auf. In der ersten Nacht überrollen uns 5 Squalls, sehr heftige Regenböen die ordentlich Wind mitbringen. Das Boot läuft immer wieder aus dem Ruder, der Windpilot ist aufgrund der hohen Wellen und des begrenzten Ruderausschlags manchmal an seiner Grenze. In den ganz heiklen Situationen benutzen wir immer wieder den elektrischen Autopiloten, aber die Kapazität der Batterien nimmt ab. In der zweiten Nacht schaffen wir es denn, randale auch ohne Autopilot immer wieder auf Kurs zu bringen. Wir gehen mit dem Großsegel ins dritte Reff, bergen es schließlich ganz. Auch die ausgebaumte Fock drehen wir teilweise auf „Handtuchgröße“ weg, erreichen trotzdem Geschwindigkeiten über 5 Knoten.

 

So kommen wir letztendlich mit sehr wenig Schlaf durch die beiden Nächte und laufen am Mittwoch, 1. Dezember bei guten Segelbedingungen die letzten 100 Seemeilen auf Martinique zu.

 

Am Donnerstag Nachmittag haben wir noch 30 Seemeilen bis Martinique. Ist das im Dunst am Horizont Land? Eine Stunde später haben wir Gewissheit, die Insel ist eindeutig zu erkennen. Mit zunehmender Dämmerung sehen wir immer mehr Lichter an Land, erkennen Städte und Ortschaften. Das Leuchtfeuer Phare Ilet Cabrits ganz im Süden von Martinique hat eine Reichweite von 20 Seemeilen, es ist eine gute Orientierung auf den letzten Metern. Wir runden das Feuer, gehen auf Nordwestkurs. In der Abdeckung der Insel beruhigt sich das Meer, die Wellen werden deutlich ruhiger. Das erste mal seit Wochen kann ich wider hinter dem Steuerrad stehen ohne mich irgendwo fest zu klammern. Da unsere Maschine nach wir vor streikt, können wir nicht in den Yachthafen von Le Marin einzulaufen. Die Marina liegt am Ende einer Bucht, ausgerichtet nach Nordost, also gegen den Passatwind. So beschließen wir in der Bucht vor Saint Anne vor Anker zu gehen und das Tageslicht abzuwarten. Das Manöver klappt gut. Wir kreuzen nur unter der Fock in die Bucht bis wir die ersten Schiffe erreichen, die ebenfalls vor Anker liegen. Wir drehen randale nordic in den Wind, rollen das Vorsegel weg und lassen den Anker fallen. Ich bin sehr froh, dass wir in den Batterien noch genug Saft haben, um die Ankerwinch zu bedienen. Wir legen 30 Meter Kette in den Sand und das Schiff liegt sicher. Nie hat mir ein Glas Wein besser geschmeckt. Das klassische Anlegebier musste leider ausfallen. Auch 2400 Seemeilen und drei Wochen auf See lassen kein Verlangen nach Bier aufkommen, das im abgeschalteten Kühlschrank eine Temperatur von 28 Grad hat.

 

Ich wache bereits morgens um fünf auf, der Wind hat deutlich zugelegt. Ich gehe auf das Vordeck und stecke nochmal einige Meter Kette nach. Dabei fliegt mir etwas ins Auge. Ein kleines Insekt, ein Sandkorn? Keine Ahnung, aber es tut weh, lässt das Auge tränen. Als Marius auch wach wird schaut er mir ins rechte Auge, kann aber nichts erkennen. Ich versuche das Auge mit der Außendusche zu spülen. Nach einigen Versuchen gelingt es, mir den Wasserstrahl ins Auge zu richten ohne es zu schließen. Ich schlafe vormittags noch ein wenig im Salon, gegen Mittag beruhigt sich dann das Auge endlich. Ich bin sehr froh, Martinique nicht mit Augenklappe betreten zu müssen. Ich wäre sicher wegen Verdacht auf Piraterie verhaftet worden.

 

Wie kommen wir denn nun in der Yachthafen? Wir prüfen die Optionen. Wir könnten an Land jemanden anrufen, der uns reinschleppt. Hmm, sicher sauteuer. Und wie würdelos, nach all den Meilen abgeschleppt zu werden. Hinter uns taucht eine Hanse 388 auf. Die Uplace mit Udo und Sabine an Bord, wir hatten die beiden in Mindelo kennen gelernt. Sie legen ihr Schiff neben uns in den Wind und wir besprechen uns über die Bordwand. Aber auch hier ist ein Schleppmanöver schwierig, wir müssen ja erst unseren Anker wieder an Bord bekommen. Da der Wind immer noch stark bläst, müsste die Ankerwinsch das Schiff 40 Meter gegen den Wind ziehen, und das mit leeren Batterien. Wir entlassen die beiden in die Marina. Sie versprechen uns, auf Standby zu bleiben, falls wir uns doch noch melden.

Dreimal Wahnsinnige und durch“ sagte der Kaleun im Film „Das Boot“, als er versuchte im Zweiten Weltkrieg versuchte die Sperrkette von Gibraltar zu durchbrechen. Wir werden versuchen, unseren kleinen 4PS Außenborder an der Badeleiter zu befestigen. Unser Diesel hat 22PS, aber vielleicht schafft unser tapferer Hartie das ja und wächst über sich selbst hinaus. Gegen 15 Uhr lässt der Wind etwas nach und wir starten den Versuch. Das Boot setzt sich mit Vollgas langsam gegen den Wind in Bewegung und die Ankerwinsch schafft es die 40 Meter Kette sicher an Bord zu rollen. Nachdem Marius den Anker provisorisch befestigt hat kommt er schnell zu mir ins Cockpit. Der Außenborder springt immer wieder etwas aus dem Wasser. In dem Moment, wenn die Schraube an die Wasseroberfläche kommt, dreht der Motor hoch,brüllt und schlägt viel Schaum. Marius verhindert das, indem er sich auf Hartie stellt. Und dort steht er auch die nächsten anderthalb Stunden. Ich bin froh, dass er Fussballer ist und mit seinen gut trainierten Beinen durchhält. Das 6 Tonnen schwere Boot tut sich sehr schwer, lässt sich bei nur 1,5 Knoten schwer steuern. „Hey“ raunt mir randale zu. „ Du weißt schon, dass ich ein Segelboot bin? Und mit meiner schlanken Selbstwendefock eine Am-Wind-Maschine?“ „Recht hast du, mein Greifswalder Mädchen, ich vertraue dir“. Ich rolle die Fock aus, trimme sie maximal flach und beginne mit die präzisesten Kreuz gegen den Wind, die ich je in meinem Leben mit ihr gesegelt bin. Links und rechts des Fahrwasser liegen Riffs, die meisten gerade so unter der Wasseroberfläche. „Komm Mädchen, wir gehen noch 20 Meter näher an das Riff ran, bevor wir wenden“. Ich segele wie im Tunnel, verschenke keinen Meter, nehme jeden Winddreher mit. Und es gelingt! Die letzten Meter schiebt uns Hartie, der die ganze Zeit als Backup mitgelaufen ist, auf einen freien Liegeplatz und Marius kann endlich seine strapazierten Beine ausschütteln. Die Erleichterung ist riesig.

 

Aber bereits nach einigen Minuten erscheint ein wichtiger Franzose und teilt uns mit, wir müssten den Liegeplatz sofort verlassen, es kommen gleich einige Katamarane, und dies sei der Chartersteg. Ok, verstehen wir. Marius nimmt über Kanal 09 Kontakt zur Hafenbehörde auf, und nach einer Wartezeit kommt ein Schlauchboot und schiebt uns quer durch den Hafen zu unserem endgültigen Liegeplatz. Wir räumen das Boot oberflächlich auf, und als wir endlich in einer netten Hafenkneipe sitzen und den ersten Tpunch getrunken haben fällt alle Last von uns ab. Wir haben es geschafft, wir haben den Atlantik überquert!!!

15. Mai 2016 - Auf dem Bolzplatz
Um 9 Uhr morgens fahre ich das letzte mal für die nächsten Jahre das Fahrwasser aus Heiligenhafen hinaus. Als ich über die Schulter zurück schaue, muss ich kurz schlucken. Auch wenn am Heck von randale nordic Greifswald steht, mein Heimathafen wird für immer Heiligenhafen sein. Der Ort, an dem mir Seebeine wuchsen.
An der Ansteuerung drehen wir das Schiff in den Wind und Karl-Heinz setzt das einmal gereffte  Großsegel. Als wir abfallen und die Fock ausrollen klettert die Logge auf 8 Knoten. Der Windmesser errechnet 18 Knoten Wind. Klasse. Bis wir auf den Amwindkurs eindrehen. Im Fehmarnsund steht eine fiese Welle und das Gebolze beginnt. Wir beginnen Richtung Laboe zu kreuzen, gute 30 Seemeilen direkter Weg. Aber bei der Welle erreichen wir nur Wendewinkel über 50 Grad und die Strecke zieht sich. Als wir das Ende der Hohwachter Bucht erreicht haben nehmen wir die Segel weg und bolzen mit der Maschine gegenan. AK voraus, Herr Kaleun.
Eine Regenbö mit über 30 Knoten zieht über uns hinweg. Am Gestänge des Bimini rutscht ein Beschlag, der nicht richtig festgedreht ist und das Sonnendach wölbt sich wie ein Gleitschirm. Der Inbus hat ein englisches  Maß, habe ich natürlich nicht an Bord. Aber mit einem Bändsel lässt sich der Paraglider am Heck bändigen.
Gegen 15 Uhr erreichen wir Laboe, etwas durchgefroren und angefeuchtet. Britti ist froh, wieder fest am Steg zu liegen. Besonders ihr Magen ist sehr dankbar.
Abends brutzeln wir Rouladen im neu angeschafften Schnellkochtopf. Miri und David kommen an Bord, sie haben vor ihrer Heimfahrt nach Kassel noch in einem schicken Strandhotel mit Blick auf die Förde übernachtet. Karl-Heinz und ich machen noch einen Spaziergang und schauen uns das Zimmer an. Unsere 10000 Schritte erreichen wir heute nicht, aber das IPhone bescheinigt immerhin 6000. Wir sind uns einig, dass wir in  Verbindung mit unserem Segeltag genug Bewegung hatten und genießen mit gutem Gewissen unsere abendliche Trilogie aus Obstler, Espresso und Zartbitterschokolade.

16. Mai 2016 - Den Kanal voll
Haben wir gegen 17.00 Uhr als wir Brunsbüttel erreichen. Nach 9 Stunden Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal.
Der Tag beginnt früh, schon um 6 Uhr ist Leben auf dem Boot. Karl-Heinz springt noch schnell unter die Dusche während ich das Boot klar zum Auslaufen mache, den Landstrom einhole und mir die Unterlagen vom Kanal anschaue.
Britti will eigentlich liegen bleiben, wir legen auch ohne sie ab, ab das sonnige Wetter lockt sie doch an Deck. In der magischen Atmosphäre der fast windstillen Kieler Förde genießen wir den ersten Kaffee, passieren Friedrichsort und erreichen die Schleusenanlage in Kiel Holtenau. Kiel Kanal , Kiel Kanal für randale nordic. Karl-Heinz ruft die Schleuse über UKW-Kanal 12 und fragt, wie wir uns verhalten sollen. Aha, zwischen den Anlagen auf Standby gehen und warten. 15 Minuten später laufen wir in die Nordkammer ein und machen an den glitschigen Anlegern fest. Die Schleusung dauert nur wenige Minuten und wir werden wieder ausgespuckt. 98 Kilometer Kanalfahrt liegen vor uns. Es weht uns ein kalter Westwind entgegen, und so wechseln wir drei uns im Stundentakt am Ruder ab. Viel zu tuen gibt es nicht an Bord. Der Yanmar schnurrt mit 2500 U/min und wir verbringen den Tag mit essen, rudergehen und schlafen. Morgens ein Müsli, am späten Vormittag die Reste vom Vortag und später Pfannkuchen mit Camenbert.
Zwischendurch kommen uns immer wieder große Frachter entgegen, der Kanal ist die am meisten befahrene künstliche Wasserstraße der Welt. Links und rechts ist viel Grün, kleine Ortschaften, Angler. Die letzten Kilometer ziehen sich, die Kälte sitzt uns in den Knochen.
Das Anlegebier trinken wir in einer kleinen Kneipe mit Kanalblick, gut geheizt. Von unserem kleinen Stadtbummel bringen wir uns einen Döner mit, den wir an Bord vertilgen. Danach machen wir noch kleinere Reparaturen auf dem Boot, Karl-Heinz ziegt die Schrauben eines Handlaufs nach und klebt die Befestigung der Jalousien neu ein während ich den Tidenkalender studiere. Ab morgen diktieren die Gezeiten unseren Tagesrhythmus.

Auf dem AIS (Automatic Identification System)

Und life

17. Mai 2016 - Im Gezeitenstrom mit Jan Cux
11.01 Uhr ist Hochwasser in Brunsbüttel. Vor- und nachher steht das Wasser ca. eine halbe Stunde. Wir können also ab 10.30 Uhr ausschleusen um mit dem ablaufenden Wasser nach Cuxhaven zu fahren. So die Theorie.
Praktisch stehen wir um 8 Uhr morgens auf. Ein Müsli-Frühstück und  tolle Duschen bringen uns in den Tag. Danach laufen wir in den ortsansässigen Edeka und füllen unseren Kühlschrank, Fisch-Schmidt versorgt uns mit Kabeljau-Filet. Gegen 11.30 Uhr schleusen wir endlich aus dem Kanal aus und randale nordic schwimmt in der Elbe. Wir laufen unter Maschine Richtung Cuxhaven. Speed over ground 4 Knoten, Fahrt durchs Wasser 5 Knoten. Ich zweifel erstmal an meinen Rechenkünsten, der Ehrenpreis in Tidennavigation geht heute wohl nicht an mich. Etwas später können wir die Fock setzen und laufen die Elbe weiter herab. Eine Stunde vor Cuxhaven segeln wir mir 9 Knoten Speed, der Ebbstrom läuft jetzt doch mit 3 Knoten mit uns.
In Cuxhaven tanken wir Diesel und füllen den Wassertank. Auch in dem war Ebbe. Karl-Heinz ist der beste Performance-Abspüler zwischen hier und Oklahoma, aber der Wasserverbrauch dabei gleicht dem eines mittelgroßen Chemiewerkes.
Spargel mit Dorsch, vorweg einen Gin-Tonic und zum Nachtisch frische Erdbeeren. Um das wieder weg zu bekommen, versuchen Karl-Heinz und ich unsere 10000 Schritte zu erreichen und schauen uns die "Alte Liebe", den Hamburger Leuchtturm und das Feuerschiff Elbe 1 an. Schritttechnisch erreichen wir unser Tagesziel nicht ganz, aber wir sind sehr zufrieden mit dem Tag und dem Abend.

18. Mai 2016 - Trottellummen, Knieper und die lange Anna
Um kurz vor 6 klappe ich meine Augen auf. Der eigentliche Plan war, nach 10 zu starten um möglichst nahe an das ablaufende Hochwasser zu kommen. Aber das kommt erst kurz vor zwölf, und gestern habe ich gelernt, dass das Wasser noch anderthalb Stunden nachläuft. Also doch jetzt starten. 10 Minuten später laufen wir tatsächlich aus, die Elbe schiebt uns mit 9 Knoten in die Nordsee. Anfangs sehr schwachwindig, können wir später den Code  Zero und das Groß setzen und Kurs auf Helgoland nehmen. Ein herrlicher Segeltag erwartet uns, viel Sonne und Wind aus südlichen Richtungen.
Bereits gegen 13 Uhr erreichen wir den roten Felsen im Meer und finden einen  Liegeplatz im Südhafen. Wir bezahlen unseren Liegeplatz beim drögen Hafenmeister, der mühselig unsere Daten in den Computer tippt. Mit den Duschen hat er nichts zu tuen, die werden privat betrieben. Na dann, vielen Dank für den freundlichen Empfang.
Wir fahren mit einer kleinen Fähre hinüber zur Düne, einer kleinen Sandinsel, die Helgoland vorgelagert ist. Die Insel steht unter Naturschutz. Bei unserem Strandspaziergang sehen wir mehrere Seehundkolonien, die im Sand in der Sonne dösen. Man kann sich den Tieren sehr leicht nähern, sie zeigen keine Scheu gegenüber Menschen. Wir legen uns ca. 25 Meter entfernt ebenfalls in den Sand und beobachten das Treiben der Herde. Im Wasser rangeln sich zwei Jungbullen, aber der Rest liegt unbeeindruckt am Strand und relaxt. Sehr inspirierend, einige Minuten später liegen auch wir und Karl-Heinz schnarcht mit den Robbies um die Wette.
Als wir zurück auf Helgoland sind, besichtigen wir das Unterland, das etwas den Charme der späten Siebziger versprüht. Mit einem Aufzug gelangt man ins Oberland, wir laufen am Klippenrand um die gerade mal einen Quadratkilometer große Insel. Die Brutkolonien sind sehr beeindruckend, man kommt den Trottellummen, Basstölpeln und Möwen sehr nahe. Wieder ein tolles Naturerlebnis. Wir fotografieren die lange Anna, den riesigen allein stehenden Felsen,  aus mehreren Perspektiven und beobachten die Alexander von Humboldt zwo beim Einlaufen. Als wir wieder am Schiff sind, zeigt der Schrittmesser von Karl-Heinz mehr als 16000 Schritte. Wir haben uns ein lecker Abendbrot verdient!
In einem kleinen Restaurant in der Nähe der Promenade essen wir Knieper, die helgoländer Variante von Hummern. Das Gerät zum Zerlegen und Pulen könnte auch ein Zahn- oder Fauenarzt gut verwenden, aber man bekommt damit auch prima das Fleisch aus den Zangen. Zufrieden mit diesem fantastischen Tag beenden wir den Tag wie immer, ein Espresso, ein.....

19. Mai 2016 - Earlybirds
Wir liegen in Helgoland im Päckchen, das heißt wir liegen an der Pier und neben uns 2 Yachten Bordwand an Bordwand. Wann wir morgen loswollen fragen unsere Nachbarn. Naja, wir wollen nach Borkum und haben so 70 Seemeilen vor uns. Ist so zwischen 5 und 6 ok?
Morgens um 5 klopft es tatsächlich auf unser Deck, beide Mannschaften in Manöverbereitschaft. Wir sind noch nicht ganz so weit, schnell in die Bordhose, Schuhe an und an Deck. Moin Nachbarn, danke, dass das klappt. Ich starte den Diesel, Karl-Heinz hat schon den Landstrom gezogen und Britti sortiert Leinen und Fender. 10 Minuten später dampfen wir durch die Molenköpfe und gehen Kurs West-Süd-West. Nach diesem Kaltstart kochen wir erstmal einen Kaffee, die See ist spiegelglatt.  Wir dösen durch den Tag,  kochen,  reparieren und lesen. Wir kreuzen zweimal Schifffahrtwege, den Terschelling - German Bight und den Western Approach, Autobahnen für Tanker und Containerriesen. Durch unser neu installiertes AIS (Automatic Identification System) kein Problem, wir sehen die bis zu 25 Knoten schnellen Schiffe auf unserem Plotter und können unseren Kurs anpassen.
Gegen 16 Uhr erreichen wir Borkumriff und laufen in das Ems-Delta ein, fahren an Borkum vorbei und drehen an der Fischerbalje in die Zufahrt zum Hafen. 18 Uhr, Schiff fest.
Der Hafen ist grauselig, ein alter Militärhafen. Aber wir werden sehr nett von der Hafenmeisterin empfangen die uns auch den Toilettenschlüssel übergibt. Wir bummeln durch den Hafen und trinken unser Anlegebier im Restaurant Yachthafen. Naja, genauer eine Sprite, ein Kaffee und ein Nullzweier Bierchen. Für morgen planen wir einen  Hafentag.
Ich bin sehr froh, dass wir so zügig bis hier gekommen sind. Ab hier sind wir weitgehend wetterunabhängig. Starker Westwind hätte die Passage durch die Nordsee unmöglich gemacht, aber durch die langen Etappen haben wir die Wetterfenster nutzen können. Und wie immer dabei: Meine Brittifrau. Wie heißt es bei den Sportfreunden Stiller? Will ich mal wieder mit dem Kopf durch die Wand, legst du mir Helm und Hammer hin. Das macht Britti auch, sie unterstützt in jeder Situation, bleibt ruhig. Meine Navigatorin!

Wissen nicht immer, wo es lang geht

Weiß immer, wo es lang geht

20. Mai 2016 - Lazy day
Wir werden aus Gewohnheit alle um 6 Uhr rum wach, obwohl wir einen Hafentag machen. Senile Bettflucht. Bleiben aber liegen und dämmern wieder ein. So richtig leben kommt erst gegen 10 Uhr ins Schiff, wir kochen uns Kaffee und ein Eichen. Gegen Mittag laufen wir in den Hauptort von Borkum, 7 Kilometer von unsrem Liegeplatz entfernt. Ca. 16000 Schritte, sagt Karl-Heinz Schrittzähler. Die letzten Meter beginnt es zu regnen, wir flüchten in ein Kaffee. Den Ort schauen wir uns im Laufschritt an, es hat sich eingeregnet. In einem Edeka machen wir Einkäufe. Zurück gönnen wir uns ein Taxi und Britti verstaut unsere Beute in den Schapps.
Borkum ist eine schöne Insel, viel Natur, endlose Strände. An der Hauptpromenade kann man alte Seebäderarchitektur bewundern. Direkt von der Promenade aus kann man Sandbänke mit Seehunden beobachten.
Diese Zeilen schreibe ich, während wir im Restaurant "Zum Yachthafen" sitzen und ich auf meinen Kabeljau nach Art des Hauses warte. Mal schauen, wie das Essen schmeckt, für den Laden spricht auf jeden Fall das tadellose Wlan.

Frühstücksbrettchen von Karl-Heinz getischlert ;-)

Feuerschiff Borkumriff - außer Dienst, wie alle deutschen Feuerschiffe

21. Mai 2016 - I understood
Langsam bekomme ich eine Ahnung, was segeln in Tidengewässern bedeutet. Das Wasser fließt in der Nordsee immer langsamer, und somit länger, rein als raus. Wir starten heute erst zweieinhalb Stunden nach Niedrigwasser und die Tide spült uns planmäßig in die Ems Richtung Delfzjil. Ich verleihe mir innerlich den Ehrenpreis für hervorragende Kenntnisse im Wattenmeer, übersehe aber dabei fast eine Fahrwassertonne, auf die uns der Tidenstrom quer zuschiebt. Unser Yanmar heilt das Manöver und wir haben drei herrlich Segelstunden. Obwohl wir streckenweise aufkreuzen, erreichen wir am Wind 9 Knoten über Grund.
In Delfzjil erwartet uns unsere erste Schleuse, wir verlassen die Nordsee und die Seeschleuse senkt uns ins Binnenland. Wir tuckern den Emskanal durch Friesland. Links und recht von uns weite Felder, Weiden, Kühe. Vereinzelt stehen Gehöfte und Baumgruppen in der Landschaft.
Die erste Brücke liegt vor uns. Und nun? Aha, die haben uns schon gesehen, die Brücken sind kameraüberwacht. Das Signal springt von rot auf rotgrün, Standby. Wenn die Ampel grün zeigt: Nix wie durch. Yachten begegnen uns nur sehr wenige, aber einige Binnenfrachter kommen uns entgegen.
Um 15 Uhr erreichen wir Groningen und finden einen Liegeplatz mitten in der Stadt. Wir liegen in einer Gracht und genießen das Treiben um uns herum. Die Studentenstadt ist auf den Beinen, irgendwas wird gefeiert. Auf dem Wasser sind viele Gruppen mit Sloepen (Schaluppen) unterwegs, laute Musik, Gelächter. Die Stadt ist eine lebendige Mischung aus traditioneller Architektur und internationaler Moderne. Der Hammer, ob man sich in meinem Alter noch an der Hanze-Uni einschreiben kann?
Wir beenden den Abend im Cockpit, überbackene Auberginen, Nudeln mit Lachs-Sahne-Sauce und roter Grütze mit Vanille-Sauce.

22. Mai 2016 - Friesland
Um 9 Uhr morgens starten wir, vorher sind die Schleusen und Brücken nicht in Betrieb. Wir werden in einer 3er-Gruppe durch Groningen gelotst. Eine Moody 54, ein riesiges Motorboot und wir. Der Schleusenwärter radelt neben uns her, von Brücke zu Brücke, sperrt den Straßenverkehr und öffnet die Brücken. Unfassbar, gestern haben wir sogar eine Autobahn gekreuzt, die für uns als einziges Boot gesperrt wurde, um uns als einziges Boot  durchzulassen.
Die "Staande Mastroute" (Stehende Mast Route - man kann mit stehendem Mast durch ganz Holland fahren) hat uns mitten durch das großartige Groningen geführt. Es gibt viel zu sehen, tolle Wohnschiffe und Hausboote, Häuser, Leben in der Stadt.
Nach zweieinhalb Stunden haben wir den Brücken-Marathon hinter uns fahren durch das ländliche Friesland. Das bunte städtische Treiben wechselt in weite Landschaften. Das Wetter ist so lala, es regnet nicht viel, aber der graue Himmel hängt über den grünen Feldern. Wir durchqueren nicht viel Orte, Abwechslung bringen nur die wenigen Schleusen und Brücken.

Als wir einen Tankstopp einlegen, entdecken wir ein Schild: Mastenbauer. Karl-Heinz ist sofort Feuer und Flamme, er braucht einen neuen Holzmast für seine Argo, die alte Holzplanke. Da haben sich zwei Holzwürmer gefunden, sofort wird über Lackierungen und Holzsorten gefachsimpelt, Email-Adressen ausgetauscht und erste Verabredungen getroffen. Während dessen bespricht Britti auf englisch mit einer italienischen Yacht, wann wir den Liegeplatz an der Tankstelle räumen und wo überhaupt der Hafenmeister zu finden ist. Als Karl-Heinz und ich vom Mastenbauer zurück kommen, räumen wir den Liegeplatz und fahren weiter.

An einer flachen Stelle laufen wir auf. randale nordic hat einen recht tiefen Kiel, mit 1,90 Meter sind wir an der Obergrenze, die Route überhaupt fahren zu können. Wir kommen aber leicht wieder frei und können die Fahrt fortsetzen, bis wir um 18.30 Uhr Dokkum erreichen.
Wir machen direkt in der Stadt fest, es regnet. Wir stellen unseren Cobb-Grill unter die Sprayhood und kurz danach gibt es Salat, Rind, Huhn und Schweinefleisch. Internet ist hier kostenlos und sauschnell, endlich kann ich auch die Galeriefunktion von Jimdo nutzen.

23. Mai 2016 - Fifty shades of grey
Oh mein Gott, wie kann es nur soviel regnen. Wir verlassen morgens um 9 Uhr Dokkum mit der ersten Brückenöffnung. Der Himmel hängt tief, es regnet, und das wird es bis zu unserer Ankunft tuen. Dazu pfeift ein Wind aus Nord. So tuckern wir südwärts. Karl-Heinz und ich wechseln uns am Ruder ab. Wir durchfahren wunderschöne Orte, aber selbst zum Fotografieren ist es zu nass. Uns beeindrucken immer wieder die tollen Häuschen, die direkt am Wasser liegen, traumhaft schön. Viele mit einem eigenen Bootsanlieger, das wärs! Das eigene Schiff direkt am Grundstück fest getüddelt. Um die Mittagszeit passieren wir Leuwarden. Seit morgens bereits haben wir einen Motorsegler hinter uns, der vor den Brücken, vor denen wir warten müssen, viel zu nahe auffährt. Den Höhepunkt erreicht das in Leuwarden, wo er vor einer Brücke auf Warteposition bis auf wenigen Zentimeter auf uns drauftreibt und uns mit seiner Schiffshupe anbölkt. Obwohl ich innerlich koche bleibe ich cool und manövriere randale nordic rückwärts um ihn herum, um ihn nicht mehr hinter mir zu haben.
Nach Leuwarden erwartet uns wieder weites Land, Friesland. Unglaublich grün, riesige Schaf- und Rinderherden, aber heute alles bedeckt vom Grau des Himmels.
Unser Tagesziel für heute heißt dann auch Grouw. Obwohl mitten im Binnenland gelegen, ist es eines der Wassersportzentren der Region. Ein malerischer Ort, umgeben vom Wasser, Yachthäfen und Schiffsservice wohin man schaut.
Beim Einfahren in den Ort laufen wir das zweite mal auf dieser Reise auf. Obwohl uns der Nordwind auf die flache Stelle drückt, zieht uns der Schiffsdiesel schnell wieder in tiefes Wasser. Wir finden eine tolle Anlegestelle vor einem Hotel. Britti geht direkt nach dem Anlegemanöver in das Hotel und handelt einen Deal aus: Wir dürfen die Nacht umsonst dort liegen, wenn wir abends dort essen gehen.
Es erwartet uns ein grandioses 4-Gänge-Menü, Karl-Heinz lädt ein. Gebeizter Lachs, Kabeljau mit Spargel, Lamm und Vanilleeis mit Erdbeeren. Und das Beste: Ich kann vom Essenstisch auf mein Boot schauen! Mehr geht nicht. Obwohl es den ganzen Tag geregnet hat, bin ich sehr glücklich. Wir sind nur noch eine Tagesreise von Lelystad, unserem Heimathafen für diese Saison, entfernt. Das tolle Essen, dieser besondere Liegeplatz, der Rückblick auf den gelungen Überführungstörn lassen mich sehr zufrieden sein. Und meine Frau, die am Abendbrottisch neben mir sitzt, und sich für mich mit freut.
Ich sitze gerade noch im Salon von randale nordic, während ich diese Zeilen schreibe. Britti ist schon in ihre Koje gekrochen, hat sich eingemummelt. Schlaf gut, meine Brittifrau, ich passe auf dich auf.

Unser Liegeplatz

4-Gänge-Menü mit Blick aufs Schiff

24.5.2016 - Fast im Ijsselmeer
Unser Liegeplatz direkt vor dem Restaurant Ostergoo gefällt uns so gut, dass wir morgens dort frühstücken gehen. Koffee, leckere Zimtteilchen, Eier und Yoghurt, wir sitzen lange, bis wir uns endlich aufraffen. Vor dem Ablegen wollen wir noch den neuen Kartenchip in den Plotter schieben, aber der alte will nicht aus seinem Slot. Schließlich gelingt es Britta doch, den Chip mit einem Messer aus dem Schacht zu fummeln, dabei fliegt er in hohem Bogen nach hinten und bleibt wenige Zentimeter vor der Deckskante liegen. Uff, fast 350 Euro versenkt. Zu allem Überfluss funktioniert der neue nicht, er soll alle Karten von Holland bis zu den Kanaren enthalten, aber der Simrad-Plotter liest ihn nicht ein. Also die alte Karte wieder rein, die allerdings keine Details vom Fahrgebiet zeigt.
So kommen wir nach dem Ablegen auch gleich an der ersten Kreuzung von Fahrwassern ins Trudeln. Die roten Tonnen links oder rechts? Um die kleine Insel noch herum oder nicht? Während wir noch diskutieren, schiebt sich der Kiel von randale nordic schon in den Modder. Aha, Britti hatte Recht, die roten bleiben backbord.
Wenig später biegen wir in den Prinses Margriet Kanal ein, einen der Hauptkanäle durch Friesland. Wir motoren südwärts. Später können wir sogar segeln, der Code Zero zieht uns voran. In Böen erreicht der Wind über 20 Knoten und wir rauschen streckenweise mit über 8 Knoten dahin, überholen sogar kleine Frachter. Auf einem Vormwindstück passiert es dann, das Schiff schaukelt sich auf, luvt stark an und schießt fast in die Sonne. Doch wir reagieren richtig, während Britta den Zero ausrauschen lässt, hechte ich zum Motor, starte ihn und lege den Hebel auf Vollgas während Karl-Heinz das Schiff in den Wind dreht. Wir schaffen es, das knatternde Segel einzurollen und gehen wieder auf Kurs. Schwein gehabt, so weit war es nicht mehr bis zum Ufer.
Am späten Mittag laufen wir in Lemmer ein, das Segelzentrum Frieslands. Wir kommen an einem halben Dutzend Yachthäfen und Marinas vorbei, aber wir laufen bis direkt in die Innenstadt. An der ersten Brücke in die Stadt bezahlen wir unser Klompgeld, die Gebühr für die Passage. Von der Brücke wird ein Holzschuh an einer Angel herabgelassen, worein man sein Geld steckt.
Wir liegen direkt an der Partymeile der Stadt, links und rechts des Kanals sind Restaurants, Kneipen, Geschäfte. Viel los ist allerdings Ende Mai und so mitten in der Woche nicht, trotzdem ergattern wir den letzten Liegeplatz. Wir bummeln durch die Stadt und kaufen ei, später gibt es Fischsuppe und Spargel mit Schweinesteaks. Zum Nachtisch frische Erdbeeren mit Vla, dem köstlichen holländischen Pudding.

25. Mai 2016 - Sie haben ihr Ziel erreicht
Ich werde eine halbe Stunde vor Lelystadt wach, beende mein Mittagsschläfchen im Salon. Bei der Fahrt von Lemmer nach Lelystadt ist mal wieder kein Wind, wir laufen wieder unter Maschine. Um 11 Uhr ist uns nach einem zweiten Frühstück und wir durchforsten das Schiff nach Reste von Essbarem. Eine halbe "Ahle Worscht", Schinken, Käse. Und dann sind da noch ein paar Flaschen Bier. So nimmt das Verhängnis seinen Lauf, bereits eine Stunde vor Mittag trinken wir das erste Bierchen. Und dann noch eins. Um ein Uhr ereilt mich dann bleiernde Müdigkeit und ich verschwinde mit einem verständnissuchenden Blick unter Deck zu meinem Schläfchen. Mannomann, sollte nicht zur Gewohnheit werden.
Als wir in die Flevomarina einlaufen bin ich wieder halbwegs fit, wir finden schnell unseren Liegeplatz an Steg 7. Unser Heimathafen für den Rest der Saison. Ich hatte den Platz bereits von zuhause aus gebucht. Der Hafenmeister empfängt uns freundlich, erklärt uns alles und gibt uns unsere Hafenkarte. Die Marina ist wirklich klasse, bietet allen Komfort und auch technische Möglichkeiten. Alle Servicebetriebe sind vor Ort, vom Segelmacher bis zum Motoren-Service. Und auch die Atmosphäre ist toll, etwas außerhalb gelegen, mitten im Grünen mit einem tollen Strand direkt angrenzend.
Gegen 19 Uhr kommt Andrea an, um Britta und Karl-Heinz abzuholen. Im Gepäck eine Riesenüberraschung: Eine Eiswürfelmaschine. Ich flitze schnell ins Restaurant um eine Flasche Tonic zu kaufen. Bereits 10 Minuten später klötern die ersten Eiswürfel ins Glas. Gin Tonic, gekühlt.
Abends gehen wir in das Restaurant direkt am Yachthafen. Auch davon sind wir begeistert. Tolles Essen mit Blick auf den Yachthafen. Als die Sonne rot im Ijsselmeer versinkt finde ich es fast zu perfekt.
Morgen werden Britta und Karl-Heinz von Bord gehen, ich bleibe noch bis Sonntag und werde mit Merle und Ingmar nach Hause fahren, die Freitag für 2 Tage in die "Prinz-William-Suite" (wie wir die Achterkajüte nennen) einziehen. Ich blicke zufrieden auf den ersten Teilabschnitt meiner Reise zurück. Alles hat geklappt, aber doch wieder anders als geplant. randale nordic hat sich wieder als tolles Fahrtenschiff bewiesen, sowohl beim harten Aufkreuzen als auch bei stundenlanger Motorenfahrt ist das Schiff eine zuverlässige Partnerin und auch unser Stück Heimat, das mit uns reist. Es bleiben tolle Eindrücke von den Landschaften, den Erlebnissen und vor allem von uns, Karl-Heinz, unserem Performance-Abspüler und Bordingenieur und meiner geliebten Britti woman.

Sollst du denn immer so viel Wasser verbrauchen beim Abwaschen?

Mein Greifswalder Mädchen an ihrem neuen Liegeplatz