Mai 2019 - Zwei Wochen vor der Abfahrt liege ich mit einer Grippe im Bett. Fühlt sich richtig mies an, die Ärztin diagnostiziert Männerschnupfen im Endstadium. Aber so weggeschossen komme ich auch raus aus dem Alltagstrott und kann an die bevorstehende Reise denken.
Hinter uns liegt ein tolles Jahr in der Bretagne. Wir hatten unsere Sommerferien 2018 dort verbracht, 2 Wochen Segeln mit meiner Brittifrau und Andrea und Karl-Heinz. Weit sind wir nicht gekommen, erlebten aber das Savoir vivre, die französische Kunst das Leben zu Genießen: Morgens um 11 mit Karl-Heinz im Schlauchboot zum Austernessen fahren in Boulogne sur Mer, vor der Ile Ouessant an der Mooring liegen, Schuhekaufen mit meiner Britti in Brest.
Im Herbst genossen wir die letzte Sonnenwoche mit unserer Tochter Miri und ihrem Hund Leyla an Bord, besuchten die Ile de Batz mit dem Schlauchboot.
Auch nach Weihnachten sanken die Temperaturen nicht unter 10 Grad, die Bretagne liegt in der Westwinddrift des Golfstroms. So konnte ich mit meinem Freund Herbert die Zeit zwischen den Jahren an Bord verbringen, das Boot abgetakelt aber im Wasser liegend.
Ostern 2019 startete für mich die Segelsaison. Eine Woche an Bord, Valentin und Karl-Heinz kamen mit Ihren Partnerinnen und Ihren Wohnmobilen. Auftakeln, ein erster Schlag nach Laber Wrac'h, den neuen dunkelblauen Spinnaker ausprobieren, ein Besuch in unserem Lieblingsrestaurant. Klasse war es, und ein Vorgeschmack auf den nächsten Törn.
Auf dem Sofa liegend löffel ich die Gemüsesuppe, die unsere Tochter Mara vorbei gebracht hat und denke an die nächste Etappe:
Im Juni mit dem Oneway-Leihwagen nach Roscoff. Dann steht als erstes der Sprung über die Biskaya an, ich rechne mit gut 3 Tagen Segeln. Wundenlecken in La Coruna in Nordspanien, dann weiter über Porto nach Lissabon/Cascais. Dort soll das Boot 5 Wochen liegen, bevor es weiter geht auf die Kanaren.
Was ist noch zu erledigen? Die Essenliste vervollständigen, Rückflüge buchen, nochmal Nachfragen ob die Werft in Roscoff die Wasserpumpe vom Yanmar-Diesel repariert hat. Und vor Allem: Freuen, mein kleines Abenteuer geht weiter.
8. Juni 2019 – Baunatal – Anreise
Freitagmittag schreibe ich meine letzte Email im Büro, stelle mein Dienst-Handy um und verabschiede mich von meinen Kollegen. Als ich zuhause das Auto belade, bekomme ich etwas Panik. Der Kofferraum ist randvoll mit Ausrüstung, Klamotten und Verpflegung. Ich treffe mich abends in Bad Schwalbach mit Karl-Heinz und Valentin. Deren Autos sehen ähnlich aus. Das wird spannend morgen, wenn wir in Metz unseren One-way-Leihwagen beladen. Während Andrea lecker für uns kocht schmeißen wir die Sachen in den James Cook von Karl-Heinz, leider fahren wir nicht die ganze Zeit mit dem geräumigen Wohnmobil. Der Abend wird lang, etwas verkatert starten wir Samstagmorgen. Der Abschied von meiner Brittifrau fällt mir wie jedes mal sehr schwer, aber irgendwie segelt sie immer mit mir.
Andrea fährt uns bis Metz, die Sachen passen gerade so in unseren Leihwagen. Im Pfingstreiseverkehr rollen wir duch Frankreich, zahlen unsere Maut und nagen am Baguette, das wir uns an einer Raststätte gekauft haben. 14 Stunden Fahrt, aua. Bei der Ankunft in Roscoff führt uns unser erster Weg direkt in unser Lieblings-Fischrestaurant. 6 Austern für jeden (naja, Karl-Heinz futtert 8), Moule frites und eine Flasche Riesling stellen unsere von der Fahrt weichgekochte Psyche wieder her.
Danach beladen wir noch das Boot mit dem nötigsten für die Nacht, also Bettwäsche und Rotwein. Bon nuit, Monsieurs, unsere letzte Nacht in der Bretagne.
9. Juni 2019 – Roscoff – Jetzt gehts loooossss
Der Wecker klingelt um 7, etwas zerknirscht klettern wir aus den Kojen. Ein schneller Kaffee bringt uns in den Tag. Während Karl-Heinz den Leihwagen nach Morlaix bringt beladen Valentin und ich das Schiff und waschen nochmal übers Deck. Karl-Heinz kommt früher zurück als erwartet, er hat sich als Anhalter zurück nach Roscoff durchgeschlagen. Ich überlege kurz, ob ich ihn auch mitgenommen hätte. Die Frage stelle ich nicht laut, weil mich Karl-Heinz kurz vorm Auslaufen in den Mast zieht, um die Windeinheit auszutauschen. Die funktioniert leider auch nicht, der Fehler am Windmesser liegt irgendwoanders. Mich tröstet aber, das die Werft in Roscoff gestern noch die leckende Wasserpumpe vom Diesel ausgetauscht hat. Karl-Heinz hatte fast täglich mit den Jungs telefoniert, damit sie vor unserer Abreise fertig werden. Merci.
Um 12.30 verlassen wir Roscoff, au revoir. Vor lauter Übermut wage mich zum ersten durch die Meerenge zwischen der Ile de Batz und dem Festland. Vor meinem inneren Auge ziehen die Bilder vom letzten Jahr vorbei. Eine Motoryacht war aufgelaufen, das arme Schiff saß bei Ebbe in luftiger Höhe von 8 Metern auf einem Felsen, sah ziemlich blöd aus. Aber heute haben wir gerade Hochwasser und der Gezeitenkoeffizient ist hoch. Alles geht gut und wir laufen bei wenig Wind nach Westen. Wir kommen anfänglich gut voran, auf Höhe der Ile de Ouessant laufen aber 4 Knoten gegen uns. Gegen 18 Uhr mache ich Schweinefilet im Backofen, die Crew ist ganz zufrieden mit mir.
Eine Delfinschule begleitet uns in die Nacht. Wir genießen den Sonnenuntergang bei ruhiger See. Währen Karl-Heinz in seine Koje krabbelt, übernehme ich die erste Wache.
10. Juni 2019 – Biskaya - Bordleben
Die Nacht ist kalt. Trotz Thermounterwäsche und meinem Pullover aus Merino kriecht die Kälte langsam durch. In der Nacht begleiten uns das Licht der Leuchtfeuer noch eine Weile. Wir passieren den Leuchtturm Le Jeurment, wo das legendäre Foto mit dem Leuchtturmwärter entstanden ist, der bei tosender See aus der Tür tritt und vom Hubschrauber aus fotografiert wird. Ich schicke eine letzte Whatsapp-Nachricht an die family und Britti. Als mich Karl-Heinz nach 2 Uhr ablöst, bin ich froh in die warme Koje zu kommen.
Der Morgen beginnt mit Sonnenschein. Die Crew hatte noch in der Nacht Vollzeug gesetzt, unter Groß und Code Zero zieht Nordi ihre Spur in den tiefblauen Atlantik. Wir bringen das Schiff in den Langzeitmodus, installieren den mechanischen Autopilot und starten den Windgenerator und die Solarpaneele. Außer den Kühlschränken schalten wir alle Stromverbraucher aus, (fast) Null Emission. Im Schiff kehrt eine lässige Ruhe ein, statt Handy nehme ich den Portugal-Krimi in die Hand.
Nachmittags besucht uns wieder eine Delfinschule. Über eine Stunde begleiten uns die schönen Tiere, schwimmen in der Bugwelle und tauchen unter dem Schiff. Die schnellen Schwimmer sind schwer zu fotografieren, bevor ich abgedrückt habe, sind sie schon wieder untergetaucht. Als Tierfotograf bin ich echt ne Niete. Als wir auf dem Vorschiff die Delfine beobachten, bemerkt Karl-Heinz, dass am Bugspriet eine Schweißnaht gebrochen ist. Mist! Wir bergen den bereits eingerollten Code Zero. Beim Wegpacken sehen wir, dass im oberen Bereich das Achterliek ausgerissen ist. Grrrr. Das Wetter heute ist recht wechselhaft, sonnige und schwachwindige Phasen wechseln sich mit böigen Schauern ab. Bei einer Bö am Nachmittag war uns das Schiff aus dem Ruder gelaufen. Wieder zu viel riskiert. Beim Bergen war uns vermutlich das Malheur passiert.
Gegen Abend brutzelt Valentin Wildschweinbratwürste. Wir nutzen einen ruhigen Moment und essen an Deck. Ich lege mich nach dem Essen noch einmal hin, bevor um 22 Uhr meine Nachtwache beginnt. Thermounterwäsche anziehen, Tee kochen, Lampen an Deck, so geht es in unsere zweite Nacht auf See.
11. Juni 2019 – Auf 5000 Meter Wassertiefe
Die Nacht ist kalt. Wir laufen unter einmal gerefftem Groß und Fock. Es ziehen immer wieder Squalls durch, die neben Wind auch Regenschauer mit sich bringen. So muss ich während meiner Wache die Vorsegelfläche anpassen. Nix mit lauschiger Nacht auf der Biskaya. Um 2 Uhr erlöst mich Karl-Heinz. Ich schlafe sehr unruhig, höre auf die Geräusche des Schiffes und überlege was zu tun ist, wenn es aufbriest.
Um 6.30 Uhr quäle ich mich aus der Koje. Waschtag ist angesagt. Eine echte Challenge bei dem bockenden Schiff und einer Wellenhöhe um 3 bis 4 Meter. Alles geht nur einhändig, die zweite Hand brauche ich zum Festhalten. Wie bekomme ich die Zahnpasta auf die Zahnbürste? Sobald ich sie ablege, haut sie ab. Ich klemme sie fest, öffne die Tube mit den Zähnen und komme so zum Ziel: Strahlend weiße Zähne. Sich wieder anziehen geht am besten im Liegen in der Koje. Auf dem Rücken liegend die Beine in der Luft, mit einem Fuß an der Decke abgestützt. Kaffee zu Kochen und Frühstück zu machen hat einen ähnlichen Schierigkeitsgrad. Dabei bewähren sich meine Anti-Rutschmatten, so haut die Müslischale nicht so schnell ab.
45 Minuten später bin ich endlich an Deck. Ein schöner Morgen, die Sonne wärmt. Wieder besucht uns eine Delfinschule. Die verspielten Tiere nutzen die hohen Wellen zum Surfen. Es sieht großartig aus, wie die lebenden Torpedos die Vorderseiten der Brecher nutzen um Geschwindigkeit aufzunehmen und auf das Schiff zu zurasen.
Gegen Nachmittag briest es weiter auf, 6 Windstärken, in Böen mehr. Der Versuch ins dritte Reff zu gehen scheitert an einer klemmenden Reffleine. Vermutlich ist sie zu dick. So bergen wir das Groß ganz und lassen uns von der Fock ziehen. Wir erreichen immer noch eine Geschwindigkeit von 6 Knoten. Das langt!
Als der Wind etwas nachlässt und wir das Groß wieder setzen passiert das Unglück. Die Fock kommt von oben, ein Schäkel im Mast ist gebrochen. Ehe ich meine Schwimmweste anhabe und auf dem Vordeck bin liegt das Segel schon im Wasser und wir ziehen das 12 Meter lange Segel hinter uns her. Ich rufe nach Karl-Heinz, der in seiner Koje schlummert. Während Valentin schnell die Maschine stoppt, ziehen Karl und ich das Segel wieder an Bord, Stück für Stück, und stopfen es durch das Vorluk unter Deck. Ausgepumpt gehen wir zurück ins Cockpit, wo uns gleich das nächste Problem erwartet. Die Toilette ist übergelaufen. Thats to much for me. Die Jungs pumpen die Sauerei mit der Fußboden-Duschpumpe außenbords, viel Meister Propper wird verwendet.
Nur mit dem Großsegel zieht Nordi weiter ihre Bahn durch die Biskaya. Noch ca. 100 Seemeilen bis La Coruna. Um das Fockfall zu reparieren, muss ich in den Mast, bei den ca. 4 Meter hohen Wellen und dem entsprechenden Geschaukel nicht möglich. Das Boot ist ziemlich luvgierig, da wir nur mit dem Großsegel fahren. Der mechanische Autopilot schafft es nicht, das Boot auf Kurs zu halten, immer wieder schießen wir in den Wind. Aber der elektrische Steuermann schafft es, sein Ausschlagswinkel ist groß genug.
Die Nacht verläuft ruhig, der Wind lässt etwas nach. Tagsüber hatten wir Böen mit 6 bis 7 Beaufort, jetzt haben wir gut segelbare 4 bis 5 Windstärken. Karl-Heinz löst mich heute etwas früher ab und ich bin sehr froh in die Koje zu kommen.
12. Juni 2019 – Galizien - Landfall
Der nächste Morgen beginnt ruhig. Als ich an Deck komme, hält Valentin Wache. Die ersten Sonnenstrahlen wärmen, der erste Kaffee auch. Wir haben tagsüber meist Temperaturen zwischen 16 und 18 Grad, gut auszuhalten. Die Nächte sind eher kühl, bei 12 Grad mit Wind kann man das nicht laue Sommernacht nennen.
Gegen 12 Uhr kommt Land in Sicht, die galizische Küste ragt hoch auf. Der Wind wird immer schwächer, wir starten die Maschine. Etwas später haben wir auch wieder Handyempfang, die ersten „Wir-leben-noch-Botschaften“ werden über Whatsapp verschickt.
Gegen Abend kommt der Torre Herkules in Sicht. Der Turm aus Römerzeiten ist das älteste Leuchtfeuer der Menschheit, seit 1800 Jahren wacht er über La Coruna und weist den Seefahrern den Weg.
Valentin gelingt es im dritten Versuch über Kanal 9 die Marina Coruna zu erreichen, die uns einen Liegeplatz an Steg 1 zuweist. Gegen 19 Uhr sind wir fest, betreten spanischen Boden und sind sehr erleichert.
Uns erwartet eine ausgedehnte Dusche und ein Besuch in der Hafenbar. Galizischer Wein, Muscheln und Pulpo. Das Leben ist schön.
13. Juni 2019 – La Coruna - Reparaturen
Wir schlafen fest und lange, erst gegen 8 Uhr kommt Leben ins Schiff. Zum Frühstück gibts Eier a la Valentin, klein geschnittene Zwiebeln und Gemüse mit Rührei, wie immer saulecker. Manchmal habe ich Bammel, dass eine Aida uns Valentin als Koch abwirbt.
Dann beginnen wir die Wunden zu lecken, beziehungsweise die des Schiffes. Im kleinen Shipshop bekommen wir eine 8mm Leine für das dritte Reff, die wir gegen die zu dicke Leine austauschen, die uns bein Einreffen auf der Biskaya so Ärger gemacht hat, weil sie klemmte. Ich muss in den Mast, die Flaggenleinen austauschen, beim Setzen der spanischen Gastlandsflagge war sie gerissen.
Für den Schäkel vom Fockfall laufen wir durch die halbe Stadt. La Coruna begeistert uns sehr, eine tolle Waterfont, eine historische Altstadt, Straßencafes, buntes Treiben. Karl-Heinz geht seiner Tradition nach und geht zum Frisör. 12 Euro, vor zwei Jahren hatte er 60 Pfund in London bezahlt. Zurück am Schiff können wir das Vorsegel wieder setzen, das Greifswalder Mädchen ist wieder fit für die nächste Etappe. Wir betanken noch das Schiff, das Wasser riecht chlorhaltig, aber wir füllen uns trotzdem in den Tank. Was hat Chlor eigentlich für eine Wirkung auf den Körper? Müssen wir noch googlen.
Beim Manöver zur Tankstelle schnautze ich Karl-Heinz an, weil er nicht schnell genug auf der Steuerbordseite ist. Sorry, mein alter Freund.
Gegen Abend gehen wir dann in die Altstadt. Ein Restaurants reiht sich an das nächste. Wir finden ein klasse Fischrestaurant, wo es auch Percebes, Entenmuscheln gibt. Die galizische Spezialität wird mühsam und auch gefährlich von den Felsen in der Brandungszone geerntet. Ein Job für mutige Fischer, die gut klettern können müssen. So bezahlen wir für einen Teller der Köstlichkeit auch über 60 Euro. Naja, eben so viel wie für einen Haarschnitt in London.
14. Juni 2019 – Costa de la Morte - Blauwassersegeln
Bevor um 6.30 Uhr der Wecker klingelt, weckt Karl-Heinz uns bereits und lockt uns mit Kaffee aus dem Bett. Valentin kommt nur langsam in Gang, aber kurz nach 6 runden wir bereits das Molenfeuer. Als wir den Torre Herkules runden und auf Kurs West gehen, kommen uns dutzende Fischer entgegen. Wir laufen unter Maschine, der Wind ist sehr schwach, und das wird er auch bleiben. Den ganzen Tag über liegt die Küste auf der Backbordseite, wir passieren die Kaps Veo, Vilan, Buitra und Finesterre. In meinem englischen Handbuch steht es ist der westlichste Punkt Kontinentaleuropas.Ich dachte immer das sei das Cabo de Roca. Naja, vielleicht sehen die Briten das von ihrer Insel aus anders. Eindrucksvoll ist das steil aufragende Kap allemal, viele Pilger des Jakobsweges setzen ihre Reise von Compostella aus noch bis hierhin fort, und auch ich bin sehr beeindruckt von dem Anblick.
Viel zu tun gibt es nicht, wir chillen durch den Tag, lesen, faulenzen und reden dummes Zeug. Abends braten wir Steaks, die wir noch im Kühlschrank haben. Valentin als Proviantmeister weiß auch, wo sich die gute Flasche Rotwein versteckt hat. Wir tafeln das erste mal auf dieser Reise unter Deck, da die See sehr ruhig ist holen wir sogar die Weingläser hervor.
Meine Wache verläuft ruhig, die See ist glatt gebügelt und wir haben bald Vollmond. Nach Mitternacht passieren wir hinter Vigo die Grenze zwischen Spanien und Portugal und mich besucht eine Delfinschule, die im Glitzern der vom Mond beleuchteten See das Schiff zwanzig Minuten begleiten. Wann und wie schlafen eigentlich Delfine? Ein magischer Moment.
15. Juni 2019 – Portugisische Küste – Blauer Himmel und Seenebel
Wir motoren jetzt seit über 24 Stunden und haben noch über 40 Seemeilen vor uns. Ich dränge im Moment auf ein zügiges Vorankommen, da über dem Atlantik ein Tiefdruckgebiet heran zieht, dass uns ab Montagmittag Südwind bringt. Also heute noch bis Porto und morgen früh gleich weiter nach Cascais, unserem Hafen für die nächsten 5 Wochen.
Da wir früher als erwartet in Lissabon sein werden nehme ich Kontakt zu Britti auf. Hast du noch Urlaub über und willst an Bord kommen? Jaaaa, sie kommt Dienstag mit dem Flieger und wir werden noch ein paar Tage zusammen verbringen. Ick freu mir so!
Wir motoren weiter die Küste Richtung Süden. Auch 3 Seemeilen vor der Küste liegen noch Fischernetze aus, und wir fahren streckenweise Slalom. Der immer wieder aufziehende Seenebel macht es nicht leichter, die kleinen Flaggen rechtzeitig zu erkennen. Aber wir haben auch ein chilliges Bordleben, gegen Mittag wird es sehr warm an Bord und wir genießen die Sonne im Tshirt im Cockpit. Mittags brutzel Valentin Bratwurst und schweizer Röstis in der Pfanne. Der Wind ist bis zuletzt schwach und so motoren wir bis vor die Mündung des Douro, die wir kurz vor 16 Uhr erreichen. Die Einfahrten in die Flußmündungen sind nicht ganz ohne, bei westlichen Winden können sich über den Barren große Wellen bilden, die ein Schiff unserer Größe auf die Seite legen können. Vorletztes Jahr war es hier zu einem Todesfall gekommen, als eine voll ausgerüstete Schulungsyacht von so einer Freakwave überrascht wurde. Aber heute ist alles friedlich, wir motoren durch die Molenköpfe und fahren den Douro rauf. An unserer Marina fahren wir erst einmal vorbei, wir wollen mit dem Schiff erst einmal in der Innenstadt schauen. Wir passieren die erste Brücke, über 60 Meter Durchfahrtshöhe. Wenige Kilometer flußaufwärts erreichen wir das Zentrum von Porto und sind von den Eindrücken erschlagen. Die Häuser sind an die Hänge “geklebt”, bunt und pitoresk, überall Gewusel und Treiben, Restaurants und Ausflugsboote. Wir sind sofort begeistert von der Stadt und freuen uns schon auf den Abend in der Altstadt.
Zunächst fahren wir jedoch zurück zur Marina und tanken voll. Nach 33 Stunden motoren ist der Tank halb leer. Die Hafencrew geleitet und mit ihrem Schlauchboot bis an unseren Liegeplatz und hilft schubsend beim Anlegen. Nach einem Anlege-Gin-Tonic melden wir uns an der Rezeption und gehen erstmal duschen. Nötig wars mal wieder.
Gegen Abend setzen wir dann mit der kleinen Fähre auf die andere Seite des Douro über und besteigen die alte Straßenbahn, die uns in die Innenstadt bringt. Ein Transport aus einem anderen Jahrhundert. Die Bahn bringt uns ruckelnd mit 12 Stundenkilometer voran, an einer Verzweigung steigt die Fahrerin aus und stellt die Weiche mit einer Eisenstange von Hand um. Geht schnell, die Türen werden während der Fahrt erst garnicht geschlossen.
Wir laufen kreuz und quer durch die Altstadt, gerade jetzt in den Abendstunden hat sie eine tolle Atmosphäre. Wir finden in den Gassen ein kleines Fischrestaurant mit lediglich 5 Tischen. Wir müssen etwas warten und bekommen dann einen Tisch. Fischsuppe, Oktopussalat und Dorade im Salzmantel. Köstlich. Wir beschießen, den Kaffee an Bord zu trinken und laufen am Südufer des Douro zurück. Das Laufen tut gut nach der langen Fahrt heute und gestern, und so lassen wir den Abend hochzufrieden im Cockpit ausklingen.
16. Juni 2019 – Porto – Spinnakersegeln
7.10 Uhr! Mist, verschlafen, wir wollten doch sehr früh starten. Valentin beruhigt mich, die Borduhr zeigt die eine Stunde Zeitverschiebung in Portugal nicht. Nach einem
schnellen Kaffee und einem Müsli mit frischen Kirschen, die wir gestern in Porto gekauft hatten, motoren wir hinaus in den Fluß. Wir fahren durch die Molenköpfe in den Atlantik und nehmen Kurs
Süd. Als der portugiesische Norder erwacht, setzen wir Großsegel und den dunkelblauen Spinnaker, der bis zum Abend stehen bleiben wird.
Heute wird unsere Mara 25 Jahre alt. Ich gratuliere ihr telefonisch und per Whattsapp. Alles gute, du Superschloggy, mach weiter so. Ich bin sehr stolz auf dich.
Herrlichstes Segeln. Der stetige Nordwind bringt uns mit einer Geschwindigkeit von 6 bis 7 Knoten südwärts. Mittags zaubert Valentin einen Thunfischsalat, als Nachtisch gibt es einen handgebrühten Espresso aus der kleinen Maschine, die Merle mir geschenkt hat. Karl-Heinz erledigt kleinere Basteleien am Schiff, tauscht Schäkel aus, bändselt fest. Der Tag ist sehr sonnig, im Windschatten der Sprayhood sitzen hält man es gut im Tshirt aus. Als gegen Abend der Spi geborgen ist wird es sehr ruhig an Bord. Nix mehr zu tun. Valentin fragt, ob wir einen Gin Tonic möchten. Und wir stoßen auf den Cabanet Sauvignon. Leicht angeduselt klönen wir in den Abend, retten den Weltfrieden, lösen die Bildungsmisere in Deutschland und der Schweiz und erhöhen das Bruttosozialprodukt beider Länder um 1 Prozent.
Gegen 8.30 Uhr gibt es noch eine Portion Nudeln. Meine Wache beginnt nach 22 Uhr, Valentin und Karl-Heinz klettern in ihre Kojen. Der Vollmond und der wolkenlose Himmel bringen eine helle Nacht. Um uns herum sind einige Fischer unterwegs, mit ähnlicher Geschwindigkeit wie wir, ich vermute dass sie Schleppnetze ziehen. Ein Fahrtenkatamaran geht mit uns durch die Nacht, seine Hecklaterne ist eine Orientierung. Als ich gegen 2.30 Uhr ins Bett gehe, ist das letzte was ich höre, dass Karl-Heinz die Maschine startet.
17. Juni 2019 – Cascais – Homerun
Die läuft auch noch, als ich am Montagmorgen sehr spät erwache. Valentin ist an Deck und fährt Slalom durch ein Feld von Fischerbojen. Die gesamte Küste ist gespickt damit. Tagsüber kann man den kleinen Minen, wie Karl-Heinz sie nennt, ganz gut ausweichen. Nachts ist es einfach Glück, keine der unbeleuchteten Dinger zu erwischen. Ein Fischernetz festgehakt an unserem T-Kiel, eine Horrorvision.
Gegen Mittag dreht der Wind wie vorhergesagt auf Süd, bleibt aber sehr schwach. Schon Stunden bevor wir es erreichen, sehen wir das Cabo Roca. Das hochaufragende Kap ist ähnlich eindrucksvoll wie das Kap Finesterre und der westlichste Punkt Portugals. Bei ruhigem Wasser können wir das Kap sehr eng umrunden, der Abstand zum Land beträgt lediglich eine Seemeile. Valentin zaubert aus den Resten im Kühlschrank Hamburger. Wir hatten in Porto von einem abreisenden Segler eine ganze Tüte mit Lebensmitteln geschenkt bekommen. Der Speck daraus ist nun die Grundlage für die „Hamburger a la randale“, wie Valentin die Köstlichkeit tauft. Wir runden das letzte Kap, laufen in das Flußdelta des Teijo ein und Cascais kommt in Sicht. Als wir am Rezeptionssteg festmachen endet unsere Segelreise. Wir starten unseren Diesel ein letztes mal um zu unserem Liegeplatz zu kommen, dann heißt es: Schiff fest! Ladies, Gentlemen and others, es war mir wieder ein Vergnügen und eine Ehre mit euch zu segeln. Merci, Gracias, Obrigado.
Wir bleiben noch 3 Tage in Cascais. Am Morgen des 18.6. fahre ich sehr früh mit der Bahn nach Lissabon, um meine Brittifrau vom Flughafen abzuholen. Miri hatte mir einen tollen Plan ausgearbeitet, wie ich am besten zun Flughafen komme.
Zu viert genießen wir die Tage in Portugal, bringen den zerrissenen Code Zero zur Segelmacherin, lassen den Bugspriet schweißen und essen „drunken Oktopus“ im einem kleinen Fischrestaurant. Wir besichtigen das malerische Schloss in Sintra, die portugiesische Antwort auf Schloss Neuschwanstein, lassen uns dazu den Berg mit einem Tuk Tuk herauf bringen. Einen ganzen Tag bringen wir in Lissabon zu, dieser atmosphärischen Großstadt an den Ufern des Teijo. In der Stadt erinnert mich so vieles an meine Tochter Merle, die nach ihrer Ausbildung 1 Jahr hier gelebt hat. Merle hatte mir damals gezeigt, wo es die besten Pasteis da Nata gibt, auch heute gehen wir in das Cafe und genießen die süße Köstlichkeit. Wir stehen am Ufer des Tejo und betrachten die Brücke des 25. April. und sehen am anderen Ufer den Christo Rei bevor wir am Abend zum Schiff zurück fahren.
Am 21. Juni steigen wir morgens in den Flieger. Mit einem Kloß im Hals lasse ich mein Greifswalder Mädchen nun 5 Wochen alleine in Cascais liegen, bevor es Ende Juli weiter geht zu den Kanarischen Inseln, Lanzarote, Marina Arrecife.